Vor knapp einem Jahr habe ich eine Beitragsserie zum Thema „Führen in der Krise“ veröffentlicht. Heute – in den ersten Tagen des Jahres 2021 – beschäftige ich mich mit einem weiterführenden, nicht weniger anspruchsvollen Thema: Führen im Chaos. Dafür gibt es eine beachtenswerte Unterstützung: Das Cynefin Framework.
Auch wenn der öffentliche Fokus in der westlichen Welt nach wie vor hauptsächlich auf der Bewältigung gesundheitlicher Aspekte der Corona-Pandemie gerichtet ist: Gleichzeitig stehen wir vor einer ganzen Reihe weiterer Herausforderungen:
- Behinderung kreativer Marktmechanismen durch das staatliche Krisenmanagement
- Gravierende Machtverschiebungen im globalen politischen und Wirtschaftssystem
- Demografische, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen unserer Gesellschaften
- Ausgrenzung und Diffamierung politisch Andersdenkender
- Radikalisierung der politischen Meinungsbildung
Die dadurch eröffneten, nur beispielhaft skizzierten Konfliktfelder machen nicht halt vor den Fabrik- und Bürotüren unserer Betriebe und stellen Unternehmen und Führungskräfte vor weit größere Herausforderungen als „nur“ die Bewältigung einer (eindimensionalen) Krise.
Gleichzeitig entstehen dadurch neue Chancen für die Entwicklung angemessener Lösungen mit enormem wirtschaftlichem Potenzial.
Um dieses Potenzial zu realisieren müssen Führungskräfte einen konstruktiven Weg durch eine Mischung aus „einfachen“, „komplizierten“, „komplexen“ und „chaotischen“ Umfeldern finden, durch die sie mit ihren Teams navigieren.
Dave J. Snowden und Mary E. Boone haben dazu unter dem Titel „Decision Making: A Leader’s Framework for Decision Making“ bereits 2007 einen vielbeachteten Beitrag im Harvard Business Review veröffentlicht.
Das Cynefin Framework
Mit dem Cynefin Framework stellen sie darin einen hilfreichen Ansatz zur Systematisierung komplexer Entscheidungssituationen vor – davon abgeleitet folgende Empfehlungen:
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Störungen identifizieren
Seien Sie aufmerksam dafür, wo Engagement aus dem Ruder läuft. Snowden / Boone nennen diesen Bereich „Disorder“. Mir scheint es hier wichtig festzuhalten, dass diese „Unordnung“ in beide Richtungen stattfinden kann: Stagnation / Lähmung oder Überhitzung / Verwirrung.
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Kontext klären
Das Cynefin Framework kennt die 4 Komplexitätsniveaus „einfach“, „kompliziert“, „komplex“ und „chaotisch“.
- Einfache Situationen zeichnen sich durch wiederkehrende Muster mit allgemein verständlichen Ursache-Wirkung-Beziehungen aus. Dafür gibt es bekannte Lösungen: „job to be done“
- Komplizierte Situationen ergeben sich, wenn Zusammenhänge vorhanden, aber weniger offensichtlich sind: Es erfordert einige Expertise sie zu erkennen und gibt meist auch mehrere Lösungsmöglichkeiten: Auch dafür sind die meisten Unternehmen ausreichend gerüstet.
- Komplexe Situationen entstehen, wenn die Dinge im Fluss und unvorhersehbar sind. Zur Orientierung in komplexen Situationen sind die erprobten Kompetenzen meist wenig hilfreich bis hinderlich. Der Prozess der Auseinandersetzung mit den auftauchenden Phänomenen ersetzt das Expertenwissen – der experimentelle Umgang mit der komplexen Situation lässt eine neue Form von hoch volatilem „Erfahrungswissen“ entstehen, das zu jedem Zeitpunkt neu zur Disposition steht: Leben im Ungewissen, Surfen auf der Welle … hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitermachen.
- Chaotische Situationen sind noch weit dynamischer: Wirkungen entstehen scheinbar ohne Ursache, häufig zeitgleich und widersprüchlich. Chaos-Zeiten lassen keinen Spielraum mehr für eine geordnete Auseinandersetzung, sind gekennzeichnet durch höchste Anspannung und die Erfordernis, eine Entscheidung nach der anderen treffen zu müssen ohne lange Zeit zum Nachdenken.
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Angemessenen Umgang mit der Situation finden
In komplexen Situationen lautet die Devise: Ausprobieren, sich mit der Wirkung auseinandersetzen und nachjustieren. Das „Leben in der Unvollkommenheit“, erfordert eine große Offenheit für Neues, außergewöhnliche Lösungsansätze und eine intakte Fehlerkultur.
Führungskräfte müssen sich hier vor einem Rückfall in gewohnte Verhaltensweisen in Acht nehmen und sich auf das Ergebnis, statt auf den Prozess fokussieren.
Um dieser Gefahr erfolgreich zu begegnen, sind Geduld und Freiräume zum Nachdenken und für den offenen Austausch hilfreich. So können sich neue Lösungswege herausbilden.
In chaotischen Situationen gilt es, rasch – und meist aus dem Bauch heraus – in‘s Handeln zu kommen. Zu schauen was dabei herauskommt und darauf so weit wie möglich angemessen zu reagieren. Augen und Ohren offen halten für das, was einigermaßen wirksam ist. Die richtigen Dinge tun, statt die Dinge richtig zu tun. Oberstes Ziel ist dabei, die Kontrolle über die Ereignisse (wieder) zu gewinnen, Boden unter die Füße zu bekommen.
Führungskräfte müssen das Heft in die Hand nehmen und gleichzeitig darauf achten, auch rechtzeitig wieder loszulassen ohne Entwicklungschancen zu übersehen und in alte Fahrwasser zurückzufallen.
Eine bewusste Fokussierung auf mögliche neue Chancen, die sich im Chaos ergeben, sowie der Diskurs mit Sparringpartnern kann Führungskräfte dabei unterstützen, chaotische Situationen bestmöglich zu nutzen.
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Zeigen Sie, dass Sie auch im Sturm segeln können. Sich mit dem Cynefin Framework von Dave J. Snowden und Mary E. Boone näher auseinander zu setzen könnte Sie dabei unterstützen.
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