Zuhören ist der Kleister jeder Zusammenarbeit. Dabei geht es selten nur um das tatsächlich ausgesprochene Wort. Die Fähigkeit des Zuhörens zu vernachlässigen oder gar durch Agitation oder Machtbeziehungen zu ersetzen, ist ein veritables Spiel mit dem Feuer: In Unternehmen und Organisationen. In Gesellschaft und Politik. In Partnerschaften, Familien und Nachbarschaften. In uns selber auch.
Die hohe Kunst des Zuhörens
Zuhören ist eine Fähigkeit, die es sich lohnt, einmal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn Zuhören ist nicht nur für jene knapp 20% Personen mit organbedingter Beeinträchtigung des Hörvermögens keine Selbstverständlichkeit.
Theoretisch läge der hörbare Bereich des menschlichen Ohrs im gesamten Frequenzbereich zwischen 20 und 20.000 Hz. Doch gibt es zweifelsohne auch zwischen diesen Extremwerten Signale, bei deren Ertönen wir scheinbar ohnmächtig eine partielle Taubheit entwickeln.
„Liebling, hast du schon …“ 😉
Zuhören – Können, wollen und müssen.
Heinz ist Führungskraft bei einem erfolgreichen Mittelständler. Sein Chef, der sich vor ein paar Jahren in das Unternehmen eingekauft und die reichlich angestaubten Vorstellungen des inzwischen verstorbenen Gründers recht leichtfüßig über Bord geworfen hatte, habe ihm noch nie richtig zugehört – stellt er im Coaching-Gespräch fest. Er überlege sich schon seit Längerem, sich um eine neue Herausforderung umzusehen.
Was meint der Mann eigentlich damit, wenn er von „Zuhören“ spricht … frage ich mich, während er aus seinem Arbeitsalltag berichtet. Etwas später wird klar: Der Chef tut einfach nicht, was Heinz möchte.
So wie Heinz geht es den meisten von uns hie und da: Wir vermischen die Dinge und stolpern in die eine oder andere Falle.
Zuhören
Zuhören gelingt am Besten mit offenen Ohren und geschlossenem Mund – und zielt darauf ab, das Gegenüber zu verstehen. Was wie ein banaler Allgemeinplatz klingt, wurde von Carl Rogers als Werkzeug der Gesprächspsychotherapie eingeführt und ist unter dem Namen „Aktives Zuhören“ ein beliebtes Standardtool der Coaching-Branche. Dabei stellen wir eigene Gedanken, Empfindungen und Interessen in den Hintergrund und fokussieren uns ganz darauf, unser Gegenüber wirklich wahrzunehmen. Mit all den Zwischentönen, die jeder noch so einfache Satz beinhalten kann.
„Die Ampel ist grün …“ 😉
Das aufrechte Interesse, sein Gegenüber zu verstehen heißt jedoch noch lange nicht, mit dem Verstandenen einverstanden zu sein – somit ist Zuhören auch nur die eine Hälfte eines wechselseitigen Prozesses von Zuhören und Gehört werden.
Als wir die Beziehung zu seinem Chef genauer betrachteten, wurde Heinz klar, wo der Hund begraben lag: Das völlig unvertraute, flotte Veränderungstempo des neuen Chefs hatte ihn ganz einfach in Alarmzustand versetzt. Ein wirklich konstruktives Gespräch war unter diesen Umständen praktisch unmöglich. Dass die Zusammenarbeit dennoch einigermaßen funktionierte, lag wohl an seinem Sachverstand und seiner ausgeprägt besonnenen Art.
Und als Heinz letztlich erkannte, dass er selbst seinem Chef gar nie richtig zugehört und sich stattdessen der inneren Hölle seiner eigenen Ängste und Selbstabwertungen ausgesetzt hatte, war der gordische Knoten gelöst.
Das war die erstaunliche (und nicht so seltene) Geschichte von Heinz.
Zuhören können
Eigene Betroffenheit wie im Fall von Heinz kann also dazu führen, dass wir unser Gegenüber gar nicht wahrnehmen können. Wir vernehmen möglicherweise die Worte. Erfassen – theoretisch – den Sinn des Gesagten. Es ist uns jedoch einfach nicht zugänglich, das damit Gemeinte tatsächlich zu verstehen.
Antonia* ist seit mehreren Jahren leidenschaftliche Bergsteigerin, begeistert von der körperlichen Betätigung an der frischen Luft, dem freien Ausblick über das weite Land und den langen einsamen Stunden, in denen sie ihre beruflichen Herausforderungen als Pressesprecherin einer international tätigen Organisation oft völlig vergisst.
Dass sie dabei von allem Anfang an vorzugsweise anspruchsvolle Routen auswählt, fast ausschließlich alleine und häufig bis in die Nacht unterwegs war, wurde von ihrem alpinerfahrenen Freundeskreis bereits mehrfach kritisiert. Sie spiele mit ihrer Sicherheit, wenn nicht gar mit ihrem Leben. Man dürfe die Berge und die mitunter rasch wechselnden Wetterverhältnisse nicht unterschätzen. Selbstüberschätzung sei die häufigste Ursache für Alpinunfälle. Verantwortungsloses Verhalten bringe nicht nur die Bergsportler selbst, sondern auch die Rettungsmannschaften in Gefahr, die im Extremfall ausrücken müssten …
Anfangs genoss Antonia die Aufmerksamkeit, die sie durch ihr extravagantes Verhalten bekam. Später wurde sie ihr lästig. Natürlich hörte und erfasste sie den Sinn dieser Warnungen. Wirklich verstanden hatte sie erst nach einer durchwachten Nacht in einer unübersichtlichen Steilwand, in der sie zur Unzeit von dichtem Nebel überrascht worden war.
Wirkliches Zuhören auf die Erfahrungen Anderer bekam für Sie nach diesem glimpflich überstandenen Erlebnis eine völlig neue Bedeutung.
Zuhören wollen
Nicht Zuhören können, weil wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Zuhören ohne wirkliches Verstehen. Und was, wenn wir gar nicht Zuhören wollen?
Fritz* hat vor Kurzem seine erste Führungsrolle übernommen. Kleines, stabiles Team, überschaubarer Aufgabenbereich. Fachlich ist er hervorragend qualifiziert, die meisten seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennt er schon ein paar Jahre. Von seiner Vorgängerin hatte er keine allzu große Meinung, er betrachtete sie als „Leisetreterin“ und wollte durch ein paar schwungvolle Veränderungen endlich etwas Elan in’s Team bringen.
Nachdem sich gleich mehrere Teammitglieder kritisch zu den anstehenden Veränderungen geäußert hatten wurde es ihm ein wenig mulmig zumute. Man hatte ihm trotz seiner geringen Führungserfahrung relativ großen Gestaltungsspielraum zugesagt und den wollte er zu seinem Vorteil nutzen.
Nach ein paar durchwachten Nächten entschloss er sich, den Argumenten der Bedenkenträger keine Beachtung mehr zu schenken und „sein Ding“ durchzuziehen. Zwei Kündigungen und ein heftiger, lautstarker Konflikt, gefolgt von mehreren Wochen Eiszeit waren die Folge. Letztlich dauerte es Monate, bis sich die ausgelösten Turbulenzen wieder einigermaßen gelegt hatten und das Team ein neues Gleichgewicht fand. So Manches lief jetzt anders als früher. Fritz hatte seine Vorstellungen umgesetzt und erzielte mit seinem Team deutlich bessere Ergebnisse.
Es gibt Situationen, in denen wir uns bewusst für’s nicht Zuhören entscheiden und damit einseitige Maßnahmen setzen. Doch auch das hat seinen Preis – unabhängig vom Ergebnis einer solchen Entscheidung.
Zuhören müssen
Schön, wenn wir es uns aussuchen können, ob wir Zuhören oder nicht. Doch nicht immer sind wir in der Situation, darüber freiwillig und eigenständig zu entscheiden.
Ingrid* ist Marktleiterin in einem Handelsunternehmen. Seit längerem steht die Branche ziemlich unter Druck, gerade an ihrem Standort sind die Umsätze dramatisch zurückgegangen. Klar: Es gab einige plausible Gründe dafür, aber letztlich kamen auch interne Probleme zum Vorschein, die jetzt endlich saniert werden sollten … so die Geschäftsführerin. Da sei dieser eine Trainer, den die Geschäftsführerin schon mehrfach empfohlen bekommen hatte. Ingrid solle ihn einladen und das Problem endlich an der Wurzel packen.
Ingrid kam nicht darum herum, sich mit dem Trainer zu unterhalten. Letztlich engagierte sie ihn auch und erzählte erst viel später von ihrer Sorge, dass sie unter den Kollegen als Verliererin dastehen würde, wenn sie „es nicht alleine schaffe“.
Zuhören kann auch dann erstaunliche Früchte bringen, wenn wir es anfangs gar nicht freiwillig tun. 😉
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