employer branding – oder: Nichts ist gefährlicher als motivierte Mitarbeitende

Das hat der Helmut Qualtinger schon gewusst. Das mit dem Motorrad, mit dem man schneller dort ist – auch wenn man nicht weiß, wohin man will.

Da werden in Personalabteilungen beträchtliche Mittel aufgebracht für Werbekampagnen zur Suche nach „high potentials“, für komplexe Bonus-Systeme, Incentives und Firmengeschenke. Respektable Programme wie „Great Place to Work“ oder „Investors in People“ werden bemüht, um sich als Arbeitgebermarke attraktiv zu positionieren: „employer branding“ heißt das auf Neudeutsch. Der spröde deutsche Begriff von der Mitarbeiterbindung kommt der Sache in manchen Fällen näher.

Du, lieber Mitarbeiter …. und du, liebe Mitarbeiterin: Mit euch heben wir die Welt aus den Angeln, erobern wir Weltmärkte und führen euch und uns zum höchsten Glück! So kommt doch zu uns: Für Erfolg und Karriere. Für Beruf und Bildung. Für das tägliche Brot, die Leidenschaft und den guten Zweck. Für Wurstsemmel, Bergquellwasser und Kantinenessen. Für gratis Festspielkarten, die firmeneigene Kletterwand und den persönlichen Parkplatz im schattigen Nirgendwo …

Da ist die Rede von kostenlosen Massagen, Fahrradhelmen … und natürlich auch vom gesunden Apfel. Alles mit einem klaren Ziel: employer branding.

„Und? Wie kommt das an?“ – frage ich.

„Sehr gut!“ höre ich. Und nach kurzem Zögern: „ So lange wir es während der Arbeitszeit anbieten und keinen Selbstbehalt einfordern.“

Und die sündteuren Weihnachtsgeschenke: Maßanzüge und Business-Kostüme für Männlein und Weiblein. Wie sind die angekommen? – Mir wird ganz flau in der Magengegend, die bittere Enttäuschung meines Gegenübers ist spürbar.

Ich verstehe das. Ist ja auch wirklich ärgerlich.

„Und welche Beteiligungsmöglichkeiten haben Ihre Mitarbeitenden?“

Das folgende Gestammel über Betriebliches Vorschlagswesen und das fast durchgängig eingeführte jährliche Mitarbeitergespräch geht irgendwie spurlos an meinen Ohren vorbei.

Wenn von employer branding die Rede sei – für welche Art von Mitarbeitenden sich das Unternehmen denn besonders attraktiv machen wolle. Höre ich mich fragen. Und lasse die Lobeshymne über Fachkompetenz, Rückgrat, Handschlagqualität und Anpacker-Mentalität über mich ergehen. Von Lebensfreude ist die Rede. Von Zielorientierung, unternehmerischem Denken und von persönlichen Werten.

Ob Menschen mit diesen Einstellungen sich von einem betrieblichen Klettergarten und kollektivem Motivations-Turnen angesprochen fühlten? Oder ob gerade dieses Verständnis von Mitarbeiterbindung zur Erschöpfung der schier unerschöpflichen „human resources“ führe?

Irgendwie habe meine provokante These schon etwas. Höre ich sagen. Und die Tonart schlägt in Moll um. Diesmal ist die Rede von Konsumhaltung in der Belegschaft und verlängerten Wochenenden. Von ausufernden Besprechungen, Hinhaltetaktik und Problem- statt Lösungsorientierung.

Was ich denn vorschlage. Höre ich sagen. Und widerstehe der Versuchung, ein Motivationstraining für die Mitarbeitenden anzubieten. Denn nichts ist gefährlicher als motivierte Mitarbeitende.

Der Fisch beginnt am Kopf zu gesunden.

Meine ich lapidar. Und empfehle eine knappe, effiziente Intervention mit den Führungskräften. Employer branding beginne mit der gelebten Führungskultur. Meine ich. Für’s Erste empfehle ich einen Halbtages-Workshop, in dem die eigenen Werthaltungen verstanden und mitgeteilt werden. In dem die konkreten Erfahrungen im Arbeitsalltag zusammengetragen und verstanden werden. In dem die Beteiligten gefragt werden, welche Prioritäten sie setzen wollten und wo die Reise denn eigentlich hin gehen solle.

Unternehmerisch denkende Menschen wollten einfach selbst gestalten. Höre ich mich sagen. Und wenn sie es schon verlernt hätten, wäre es höchste Zeit, diese Fähigkeiten wieder herauszufordern.

Von der gezielten Suche nach genau diesen Kernkompetenzen ist dann wieder die Rede. Davon, dass vielleicht etwas frischer Wind gut täte. Von der geplanten Kampagne mit dem knackigen Slogan auf leuchtendem Untergrund. Davon könne man sich eine Menge versprechen, habe die Marketing-Agentur versichert. Der Personalberater habe das ebenfalls bestätigt – und auf ein paar sehr interessante Profile hingewiesen, die gerade im Markt verfügbar seien. Alles in allem eine viel versprechende Aussicht.

Sobald dieser bevorstehende Wechsel in der Führungsebene abgeschlossen sei, solle man sich nochmals zusammensetzen. Derzeit sei das Team für so etwas noch nicht reif. Höre ich sagen. Man könne sich nicht vorstellen, dass sich die eigene Crew in ihrem derzeitigen Zustand wirklich ehrlich über „Persönliches“ wie konkrete Erfahrungen im Arbeitsalltag auszutauschen bereit sei. Und dann sei das ja vertane Zeit. Eine Umbildung der Führungsmannschaft führe natürlich viel schneller zu einer sichtbaren Veränderung.

Selbstredend. Meine ich. Und verkneife mir die Frage nach dem Ziel der Veränderung.

Da fällt mir plötzlich wieder der Helmut Qualtinger ein.

Ich bedanke mich für das Gespräch und verabschiede mich höflich. Den Namen meines Gesprächspartners setze ich auf die Liste mit den Adressen für die Weihnachtskarten. Bis dahin werde die Umbildung der Führungsebene mit Sicherheit abgeschlossen sein.

Der Fisch beginnt am Kopf zu gesunden. Fällt mir wieder ein.

Aber davon war ja schon die Rede.

Eine Artischocken-Blüte

Change Management – Die Erotik des Wandels

Es prickelt. Der Reiz des Neuen – Unerwarteten. Ein Stein, wer darauf nicht zumindest mit Neugierde reagiert. Oder doch nicht?

Wir müssen uns ändern.

Der Mensch – ein Raubtier. Nicht erst seit Erfindung der Dampfmaschine und der industriellen Revolution. Wie effizient und nachhaltig ein Lebensraum zerstört werden kann, lesen wir in historischen Dokumenten über Zeiten, in denen die Mittelmeer-Anrainerstaaten noch dicht bewaldet und die heutige Sahara ein weitgehend fruchtbares Gebiet war.

Der Club of Rome hat bereits vor 40 Jahren eindringlich davor gewarnt, dass uns in Kürze der Treibstoff ausgehen werde.

Alternative Technologien sind bekannt – aber so lange wir unsere Volkswirtschaften an den Tropf der Automobilindustrie und anderer energieintensiver erdölbasierter Industriezweige hängen und unsere persönlichen Lebensgrundlagen vom Vorhandensein einer einträglichen Erwerbsarbeit abhängen, wird’s wohl nix werden mit einer ernsthaften Umstellung auf Nachhaltigkeit. Stattdessen betreiben wir weiterhin Raubbau an Umwelt und sozialen Beziehungen.

Ein bisschen vielleicht.

Ok. Wir kaufen Fair-Trade-Kaffee. Bestenfalls. Und trennen Müll. Unsere Kläranlagen funktionieren größtenteils tadellos und die meisten Seen sind inzwischen so sauber, dass wir uns Sorgen um die Ernährungslage unserer Speisefische machen.

Genug geändert? Alles nur Panikmache der alternden No-Future-Generation?

Hm. Ein Blick in die Staatskassen, in die politischen und wirtschaftlichen Führungsetagen und in die Leistungsbilanzen von Sozialeinrichtungen spricht eine andere Sprache.

Wir müssen uns noch weit tiefgreifender ändern.
Müssen? Nein, wir werden es tun. Zwangsläufig.

Unlängst führte ich ein Gespräch mit einem top-motivierten Unternehmer. Robotik sei der Schlüssel zu zukünftigen Erfolgen. Ein riesiger Markt – eindeutiger Beleg dafür sei die rasante Ausbreitung von Rasenmäher-Robotern, wie sie in Vorstadt-Gärten bereits Einzug gehalten haben.

Was aber, wenn die Energiefrage uns hier rechts überholt? Woher auf Dauer die seltenen Erden beziehen, die für die elektronischen Steuerungen erforderlich sind?

So lange wir unser Seelenheil weiterhin auf der Ideologie von stetigem Wachstum aufbauen, besteht die unmittelbare Gefahr, dass wir die Rechnung ohne den Wirt machen. Öko hin und Nachhaltigkeit her.

Lieber doch nicht.

Oder lieber doch nichts ändern? Die Augen verschließen vor offensichtlichen Herausforderungen – und damit rechnen, dass „es schon irgendwie gehen wird“?

Also ich find das überhaupt nicht sexy.

Wir werden uns ändern. Mit Sicherheit.

Auch wenn der Anstoß dafür manchmal im Angstgewand die Bühne betritt: gekürzte Budgets, abgesägte Projekte, vertane Chancen.

Wir werden uns ändern. Mit Sicherheit. Freiwillig … oder eben getrieben durch die Umstände. Die Herausforderung, aus dem was da ist das Beste zu machen scheint mir immer noch mit Abstand die fruchtbarste, spannendste und lebenstauglichste Herangehensweise zu sein.

Denn „Veränderung“ findet so wie so statt – unabhängig von unserer Befindlichkeit und persönlichen Vorliebe.

Da gibt es Zeiten, in denen scheinbar alles gelingt was wir anpacken: in denen sich eine Chance nach der Anderen auftut und auch waghalsige Vorhaben relativ reibungslos über die Bühne gehen.

Und dann sind da halt eben auch diese Dürreperioden, in denen alle Zeichen auf Sturm stehen, in denen wir vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sehen.

Sich vor anstehenden Entwicklungsprozessen mit dem Hinweis auf fehlende Zeit oder andere Prioritäten zu verschließen ist die Eigenschaft derjenigen, die bestenfalls in der Vergangenheit erfolgreich waren.

Für die Zukunft haben sie nichts zu bieten.
Rein gar nichts.

Denn wann sollte Zukunft gestaltet werden, wenn nicht jetzt?
Und von wem, wenn nicht von uns?

© Header Photo by Defranceschi

Reputation Management – Was jenseits von Marketing wirklich wirkt

Eine Zugfahrt die ist lustig. Und man tut dabei etwas für die eigene Co2-Bilanz. Und gegen den Stau auf den Straßen. Und man kann arbeiten, statt nur sinnlos hinterm Lenkrad zu sitzen.

Zumindest in der Theorie.

Was eine Zugfahrt aber auf jeden Fall bietet: Einblick in die Lebenswelt der unterschiedlichsten Berufsgruppen. Beispiel gefällig?

Der Sportfunktionär

In einem gesunden Körper ruht ein gesunder Geist. Das wussten schon die alten Griechen. Entsprechend positiv besetzt ist auch das Berufsbild des Sportlers: Engagierte, leistungswillige Menschen, die sich tüchtig fordern.

So weit, so gut.

Kurz vor Mittag, die 1. Klasse ist kaum zur Hälfte besetzt. Hier und da sind Laptops hochgefahren, nur ab und zu unterbricht ein kurzes, dezent geführtes Telefonat die Arbeitsatmosphäre. Es geht was weiter.

Zwei Stunden später liegt Knistern in der Luft. Der Herr drei Sitzreihen vor mir unterhält sich lautstark mit seinen Kollegen. Ein Mitreisender bittet höflich, aber bestimmt, das Gespräch etwas leiser zu führen – vergeblich.

Inzwischen – nach der zweiten Runde Bier scheint die Selbstkontrolle nicht mehr so recht zu funktionieren – weiß das ganze Abteil, dass es sich um einen Sportfunktionär handelt. Namen fallen, Zusammenhänge werden vollmundig ausgebreitet.

Das alles erfahren wir gratis. Es kostet nur … unsere Zeit.
Und der Berufsgruppe ein bisschen von ihrem guten Ruf.

Lokführer-Treff

Inzwischen ist es Nachmittag geworden. Die Fußballer sind gerade ausgestiegen und es kann wieder in aller Ruhe gearbeitet werden. Bis zur nächsten Station.

Eine lustige Truppe steigt zu – Party ist angesagt. Wieder wird Bier durch den Wagon gereicht. Schließlich wird hier auch am Platz bedient.

Erneut die Bitte, sich etwas leiser zu unterhalten. Wir werden höflich darauf hingewiesen, dass der Zug mit einem eigenen Ruheabteil ausgestattet sei. Dort dürfe man sich dann auch ungeniert beschweren, wenn jemand einen Laut von sich gebe.

In der Folge werden wir über das unterschiedliche Lohnniveau von Bahnbediensteten in Deutschland, Österreich und Ungarn informiert. Wir erfahren Einzelheiten über Dienstpläne, Urlaubsreisen in die USA und die neuen Mercedes-Modelle. Im Übrigen gehe es einem als Arbeiter inzwischen wirklich dreckig. Die reinste Sklavenarbeit sei das.

Das alles erfahren wir gratis. Es kostet nur … unsere Zeit.
Und der Berufsgruppe ein bisschen von ihrem guten Ruf.

Die Gewerkschaftstagung

Nach einer guten Stunde, in der an Arbeit nicht mehr zu denken ist, wird endlich ein Tisch im Speisewagen frei. Dort geht die Post erst wirklich ab. Die Eisenbahner verbrüdern sich mit einer Abordnung Gleichgesinnter, die direkt von einer Gewerkschaftstagung kommen.

Ich habe bereits den Laptop gegen eine Zeitung ausgetauscht. Vielleicht geht das noch. Dachte ich mir.

Inzwischen wird … nun ja: gesungen. Heimatlieder.

Ich mag es, wenn Menschen singen. Ich singe selber gerne. Eigentlich meistens im Auto – da ist man so schon ungestört.

Diesmal habe zumindest ich dann nichts mehr weiter erfahren.
Ich hatte dann doch die Gelegenheit genutzt, etwas Musik zu hören.

Mit Kopfhörer, versteht sich.
Man möchte ja schließlich die Mitreisenden nicht belästigen.

Das Bewerbungsgespräch

Dermaßen geläutert spricht auf der Rückfahrt einiges – im Grunde alles für ein Upgrade auf einen Sitz im Business-Abteil.

Gesagt, getan. Doch wenn das Glück zuschlägt, dann kräftig.

Zwischen Linz und Salzburg findet im Nebenabteil ein ausführliches Bewerbungsgespräch für ein Tiroler Handelsunternehmen statt. Die Beteiligten scheinen ganz gut miteinander zurecht zu kommen und breiten erstaunliche Details, Rahmenbedingungen und Ziele in aller (überschaubarer) Öffentlichkeit aus.

Diskretion ist offensichtlich nicht jedermanns Sache.

Reputation Management

Nun ist es eins, sich bei der Nase zu nehmen und ernsthaft zu überlegen, wie wir uns als Berufsgruppe, Unternehmen, Familie oder als Einzelpersonen in der Öffentlichkeit verhalten.

Jede/r liegt mal daneben.

Aber was heißt das für uns im professionellen Kontext?
Und welche Rolle wird Reputation Management in Zukunft spielen?

In einem spannenden Interview mit dem Titel Führung ist ein gesellschaftliches Thema vertritt der bekannte deutsche Honorarprofessor Peter Kruse eine brisante These.

„Ohne eine Reputation im gesellschaftlichen Kontext werden Unternehmen in Zukunft nicht mehr regional überlebensfähig sein.“

Und dabei geht es nicht um verhältnismäßig unbedeutende „Kollateralschäden“ die ein paar Feiernasen bei einem Duzend Mitreisenden im Zug anrichten. Der Ärger über ein paar verlorene Stunden im Zug ist ja bei den Meisten nach wenigen Stunden wieder verraucht.

Bedeutend brisanter wird das Thema, wenn soziale Netze ins Spiel kommen und entsprechendes (Fehl)Verhalten Einzelner schlimmstenfalls als negatives „Image-Video“ in den diversen Foren seine Kreise zieht.

Sensibilisierung – Aufmerksamkeit – Bewusstheit

Es gibt dafür eine Lösung. Und die spielt sich jenseits jeglicher glänzender Image-Broschüren ab:

Die Entwicklung tragfähiger und belastbarer Unternehmensidentitäten und Sensibilisierung der eigenen Mitarbeitenden für diese existenziellen Unternehmenswerte.

Und was haben Sie davon?

  • Eine Unternehmenskultur, für die Wertschätzung und Diskretion im Umgang mit Mitarbeitenden und Bewerbern eine Selbstverständlichkeit ist.
  • Eine Gewerkschaft, die sich ernstlich und respektvoll um die reale Lebenssituation der Menschen kümmert.
  • Eine Bahn, der es sichtlich ein Vergnügen ist, dich sicher und bequem ans Ziel zu bringen.
  • Einen Sportverband, dem man die Begeisterung für sportliche Höchstleistungen abnimmt.

Das alles bekommen wir nicht gratis, es kostet etwas Hirnschmalz.
Und ehrliches Engagement.

Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit – Das Recht der Anderen

Wer sich damit näher befasst, merkt rasch: Das Thema ist umfassender als auf den ersten Blick angenommen werden könnte. Meinungsfreiheit. Was hat das mit uns konkret zu tun? Mit unserem täglichen Leben, Arbeiten – Mit der Art, wie wir unsere Betriebe führen?

Es gibt Themenkomplexe, auf die wir fast tagtäglich stoßen – Running Gags. Das hat mit unserer persönlichen Wahrnehmung zu tun. Und mit unserer kollektiven Verfasstheit als Gruppe. Da ist dann die Rede von „Wertegemeinschaft“ oder „Unternehmenskultur“.

Hot Spots. Kristallisationspunkte der (öffentlichen) Debatte.

Aus der Distanz sieht man die Dinge in der Regel etwas klarer. Zwei Beispiele.

In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte der Diskurs zum Thema Schwangerschaftsabbruch wenig Sachliches. Da prallten Weltbilder aufeinander: „Mein Bauch gehört mir“ wurde zum Schlagwort einer sich emanzipierenden Frauenbewegung. Die Fronten zwischen „konservativ“ und „emanzipiert“ waren rasch gezogen und differenziertere Betrachtungsweisen zwischen den Extremwerten fanden wenig Gehör.

Die 80er Jahre wurden dann zur Geburtsstunde der Ökologiebewegung. Die Erkenntnis, dass die Bäume zwar in den Himmel, aber nicht darüber hinaus wachsen, führte bei Vielen zu Nachdenklichkeit und der Suche nach Alternativen. Die Bandbreite des Diskurses spielte sich ab zwischen „Jute statt Plastik“, „No Future“ und dem völligen Ablehnen jeglicher Verantwortung für Umwelteinflüsse.

Ich erinnere mich an eine Diskussionssendung („Club 2“), in der ein prominenter Vertreter der Seilbahnwirtschaft allen Ernstes argumentierte, die durch menschliches Zutun herbeigeführte Erderwärmung würde den Planeten vor einer geologisch bereits seit mehreren hunderttausend Jahren überfälligen Eiszeit bewahren.

Nun ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche laut Statistiken seit den frühen 80ern um etwa 50% zurückgegangen und längst hat sich eine sogenannte „blue economy“ herausgebildet, die sich zum Ziel setzt „mehr mit weniger“ zu erzeugen.

Beide Entwicklungen verdeutlichen – wenn auch nicht das Ende ideologisierter Debatten – so doch eine etwas nüchternere Pragmatik. Das Leben ist nun einmal bunt und nur Weniges lässt sich sinnvoll in ein simples Schwarz-Weiss-Schema pressen.

Meinungsfreiheit heute.

Heute bieten sich entzündbaren Geistern andere Konfliktfelder. Zum Wettern und Zetern. Zum Fürchten und Anklagen. Zum Kämpfen und Ringen. Mit Worten und Taten. Und inzwischen auch wieder mit Toten.

Offensichtlich übt die geladene Atmosphäre erhitzter Menschenmassen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus auf linke wie rechte, säkulare wie religiöse, hetero- wie homosexuelle Menschen, die sich fraglos gedrängt fühlen, ihren persönlichen Standpunkt lautstark der Öffentlichkeit mitteilen zu müssen.

Soweit so gut. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, die es sich auf die Fahnen heftet, mit Diversität umgehen zu können und Individualität als höchstes Gut zu vertreten.

Wirklich?

„Meinungsfreiheit“ wird dieser Tage quasi als Schlachtruf in’s Feld getragen. Doch dahinter verbirgt sich beschämend selten der Wunsch, die Meinung der Anderen verstehen und anerkennen zu können. Wohl eher das platte Bestreben, der eigenen Meinung Gehör zu verschaffen – und zwar gehörig.

Dabei gleichen sich die diversen Darbietungen der jeweiligen Proponenten unabhängig vom jeweiligen Format – gleichgültig ob „Spaziergang“ – „Protest-“ oder „Solidaritätskundgebung“ – und erwecken unisono den Eindruck eines aus dem Rahmen gefallenen Faschingsumzugs.

Diversity

Bunt ist schön. Gebt dem Leben eine Chance, sich zu entfalten! Vielfalt statt Eintopf.

Die Vielfältigkeit unserer Lebensentwürfe ist längst gesellschaftliche Realität. Das sprichwörtliche „man“ hat ausgedient und – zumindest in Westeuropa – sind der Meinungsfreiheit kaum Grenzen gesetzt.

Ich glaube, das ist das Beste, was wir uns wünschen können.

Menschen entscheiden sich aus ihren persönlichen Gründen für dieses oder jenes Lebenskonzept. Für diese oder jene Art zu essen, zu genießen, zu lieben. Sie entscheiden sich, an Dieses oder Jenes zu glauben oder eben nicht daran zu glauben. Sich gesund oder weniger gesund zu ernähren, Sport zu treiben, zu rauchen, Bücher zu lesen, spazieren zu gehen oder vor der Glotze zu sitzen.

Dass es den einen oder anderen recht gesicherten Zusammenhang gibt. Zum Beispiel zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Zwischen üppigen Speisen und Blutwerten. Zwischen unterschiedlichen Formen des Sozialverhaltens und zu erwartenden Reaktionen des Umfelds. Das dürfte sich bei den Meisten schon herumgesprochen haben.

Doch bietet uns die Statistik genügend Spielraum. Nicht jeder Raucher wird krank und auch nicht alle Randalierer werden irgendwann tatsächlich in die Schranken gewiesen. Manche Menschen scheinen mit recht destruktiven Verhaltensmustern erstaunlich gut über die Runden zu kommen.

Und manche Menschen haben einfach den Mut, ganz anders zu leben und etwas völlig Neues auszuprobieren.

„Damit das Mögliche entsteht,

muss immer wieder

das Unmögliche versucht werden.“

Hermann Hesse

Meinungsfreiheit: Mehr als eine leere Worthülse?

Vor einigen Jahren hielt ich mich über längere Zeit in Jerusalem auf. Ja, diese Stadt meine ich, in der so viel gestritten, gekämpft, gelitten, gebetet und gelogen wird.

Im Ostteil der Stadt, gleich außerhalb der Altstadt, saß ich in einem gepflegten arabischen Restaurant und nahm ein typisch orientalisches Gericht zu mir. Am Nebentisch unterhielten sich ein orthodoxer Rabbiner und mehrere arabische Männer lautstark – und wie es den Anschein machte in gelöster Stimmung. Es wurde gelacht und auf die Schenkel geklopft.

Nachdem ich die Szene eine Zeit lang beobachtet hatte, wandte ich mich an einen Ortskundigen und zeigte mich überrascht. Bei der allgemeinen Lage in der Region hätte alles erwartet, nur nicht das.

Mein Gegenüber wies mich darauf hin, dass viele orthodoxe Juden in einem recht angespannten Verhältnis zum Staat Israel stehen … und sich darüber mit einem Teil der arabischen Gesellschaft ähnlicher Meinung wissen.

„Wie stehst du eigentlich zu …“ und „Welche Erfahrungen habt denn Ihr gemacht mit …“.

Fragen dieser Art könnten durchaus geeignet sein, Horizonte zu öffnen und Lebenswelten verständlicher zu machen – möglicherweise bei allen Beteiligten.

Als in Deutschland die ersten Probleme mit einer neu erstarkten Rechten öffentlich wahrnehmbar geworden waren, strahlte das deutsche Fernsehen einen Bericht über ein Projekt aus, das mir imponierte: Eine Gruppe von Sozialarbeitern schickte einschlägig auffällig gewordene Jugendliche auf einen Kulturaustausch in die Türkei. Die jungen Leute wurden vorher über ihre Erfahrungen und Erwartungen interviewt, während des Aufenthalts mit der Kamera begleitet und sie berichteten nach ihrer Rückkehr über ihre Erfahrungen. Das Projekt scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein.

Offensichtlich ist der direkte Kontakt mit dem jeweiligen Gegenüber unter günstigen Rahmenbedingungen ein möglicher Weg zu gegenseitigem Respekt und Verständnis.

Der konkrete Alltag. Im Wohnviertel …

Nun ist es Eins, sich aus sicherer Distanz über gesellschaftliche Phänomene und scheinbar zufällige Urlaubserfahrungen zu räsonieren – und etwas ganz Anderes, den konkreten Alltag mit Menschen zu verbringen, die … scheinbar so ganz anders ticken wie wir.

Nach meinem Studienabschluss wohnte ich für einige Jahre mit meiner jungen Familie in einer herrlichen Neubauwohnung mit Wintergarten und Blick auf den Sonnenuntergang am Bodensee. Was für ein Glück.

In eben dieser Wohnanlage hatte die öffentliche Hand Sozialwohnungen erworben, in denen fast ausschließlich Familien mit Migrationshintergrund untergebracht waren.

Im Lauf der Monate wich die erste Freude über das bunte Treiben, die orientalische Musik und die fremden Gerüche … und langsam machte sich ein beklemmendes Lebensgefühl breit. Ob des bunten Treibens, der orientalischen Musik und der fremden Gerüche.

Dabei hatten wir ein sehr anständiges Verhältnis zu unseren Nachbarn. Und als uns die Wohnung nach drei Jahren zu klein geworden war und es sich herumsprach, dass wir ausziehen würden, sind Abschiedstränen geflossen. Auf beiden Seiten.

Meinungsfreiheit. Das Recht der Anderen.

Das Recht, etwas andere Zeiten von Aktivität und Ruhephasen zu haben. Statt Mittagspause Remmidemmi. Das Recht, am Sonntag Nachmittag einen privaten Basar abzuhalten. Mit Kleidungsstücken, Gemüse und Fisch – frisch aus dem Kofferraum des privaten Kombis.

Es ist mir im Lauf der Zeit schwerer gefallen, meinen Nachbarn dieses Recht von Herzen zuzugestehen.

Es war und ist dennoch gut, dass sie dieses Recht hatten.

… und im Betrieb.

Die „offene Gesellschaft“ ermöglicht es uns, unser privates Umfeld relativ frei von Einflüssen zu gestalten und weitestgehend ein Leben zu führen, wie wir es für richtig halten. Das hat uns zu großer persönlicher Freiheit und einem blühenden, bunten Sozialleben geführt. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung sieht das als enormen Vorteil.

Und in unseren Betrieben?

Der Vorteil der Perspektive eines externen Beraters ist … die externe Perspektive.

In vielen Kontakten zu Geschäftsleitungen und Mitarbeitenden stelle ich immer wieder eine relativ hohe Autoritätsgläubigkeit fest.

Hierarchische Strukturen spielen nicht mehr ganz die Rolle wie noch vor 20 Jahren. Doch nach wie vor ist es für Führungskräfte immer wieder eine veritable Herausforderung, neue Perspektiven und Ideen von Mitarbeitenden wirklich ernst zu nehmen und der Versuchung zu widerstehen, entsprechende Beiträge mit einem knappen „eh scho wissen“ vom Tisch zu wischen – genauso wie es umgekehrt nicht immer ganz leicht ist, Menschen aus einer lethargischen Grundhaltung à la „Was geht das mich an, ich mach hier nur meinen Job“ zu mehr echtem persönlichem Engagement zu bewegen.

Nun wird es auch im betrieblichen Kontext wenige Menschen geben, die sich nach reiflicher Überlegung offen gegen Meinungsfreiheit aussprechen und „Dienst nach Vorschrift“ als optimale Grundhaltung anstreben. Doch die gelebte Praxis sieht allzu oft anders aus.

Heerscharen von Beratern, Trainern und Coaches verdienen damit ihr Geld.

Wissen, was wirkt.

Wenn sich ein Unternehmen die Mühe macht, in Beratung / Training / Coaching zu investieren, dann geschieht das in den seltensten Fällen aus Philanthropie. Dahinter steht ein manifestes Interesse: Die eigene Ertragskraft verbessern.

Nach einer Phase der Methoden- und Produktverliebtheit schwingt das Pendel der Beraterbranche wieder stärker in Richtung der konkreten Menschen. Selbstreflexion ist das Gebot der Stunde und Trendsetter setzen auf den Menschen als Mittelpunkt – statt Mittel. Punkt.

Die Herausforderung

Die Herausforderung besteht heute zweifelsohne darin, dass wir uns wieder verstärkt auf Grundfragen einlassen: Wer sind wir? Was wollen wir? Was können und wollen wir tun?

Wer sich auf diese Fragen einlässt, macht sich auf einen persönlichen Erfahrungsweg, wie er spannender nicht sein könnte. Er oder sie wird gleichzeitig die Meinung und den Blickwinkel Anderer als wertvolle Ergänzung und möglicherweise auch Korrektur der eigenen Erlebenswelt anerkennen und zu schätzen lernen.

Unternehmen, die sich auf diese Fragen einlassen werden durch die zusätzlichen Perspektiven einer möglichst großen Anzahl von Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden deutlich an Profil gewinnen. Sie werden auf die Herausforderungen der Zeit mit kreativen neuen Lösungen antworten statt sich an Überkommenem festzuklammern.

Gesellschaften, die diese Fragen (wieder) verstärkt zulassen werden die drängenden Herausforderungen der Gegenwart viel umfassender verstehen und damit konstruktiver umgehen statt lediglich Unsummen in eine illusionäre Sicherheitsstruktur zu investieren.

Was alle drei gemeinsam haben: Sie haben keinerlei Erfolgsgarantie.

Doch wer wirklich hinschaut, das Recht der Anderen auf ihren eigenen Standpunkt respektiert und wirklich ernst nimmt, hat eine realistische Chance.

© Header Photo by Guillaume de Germain on Unsplash

Wandel wagen - Wegweiser

Wandel wagen – wann, wenn nicht jetzt!

Der Gedanke ist der Vater aller Dinge – Urknall eines jeden neuen Universums. Was wäre, wenn … wenn wir mit unseren Gedanken völlig neue Welten schaffen wollten. Raus aus eingefahrenen Denkschemata – aus Gewohnheiten und vermeintlichen Sicherheiten, rein in das Abenteuer Leben: In unseren Betrieben, Wohnvierteln, Familien. Was wäre wenn … Eine naive Illusion? Ganz im Gegenteil. Eine Herausforderung, um die wir ohnehin nicht herumkommen werden. 😉

Business

Internet, Mobiltelefonie, Smartphones. Globalisierung, freier Güterverkehr, gemeinsame Währung. Finanzkrise, Rettungsschirm, Nullzinspolitik. Was uns heute bereits völlig selbstverständlich erscheint und für eine ganze Reihe neuer Branchen überhaupt erst die Geschäftsgrundlage liefert, war vor erstaunlich kurzer Zeit noch völlig anders.

Und es braucht keine ausgeprägten prophetischen Fähigkeiten oder fortgeschrittene Mathematik-Kenntnisse, um sich zumindest eine grobe Vorstellung vom Ausmaß der Veränderungen zu machen, die uns auch in den nächsten 5-10 Jahren erwarten werden.

Wer seine Geschäftsstrategie an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen vergangener Zeiten ausrichtet, wird es bestenfalls zu anekdotischer Erwähnung in den Aufzeichnungen jener Unternehmen bringen, die trotzdem überleben.

Wieso also nicht gleich den Wandel wagen?

Den Perspektivenwechsel vom „inside-out“-Denken (Wie kann ich verkaufen, was ich produzieren kann?) zu einem „outside-in“-Denken (Was braucht unsere Gesellschaft, das ich liefern kann?) zum Beispiel, der auf dem YouTube-Kanal der HSGUniStGallen unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit 3.0“ vorgeschlagen wird. 9 Minuten, die es in sich haben.

Bindungen

Individualität, Selbstverwirklichung, Unabhängigkeit. Wertewandel, Respekt vor Minderheiten, Willkommenskultur. Die Welt ist zusammengerückt – Vieles ist verfügbarer und näher als noch vor wenigen Jahren. Zumindest für jene von uns mit dem nötigen Kleingeld und dem richtigen Pass.

Mit zunehmender Buntheit und Komplexität steigt bei manchen auch die Sorge um die eigene Identität. Fremdes wird vertrauter – und aus neuer Perspektive betrachtet wird Vertrautes fremd.

Wer seine sozialen Beziehungen in Netzwerke von gestern investiert, deren erstes Interesse das Festhalten an einem längst nicht mehr förderlichen Status quo besteht, betrügt sich – und die Gesellschaft – um eine vor Lebendigkeit sprühende Begeisterung, die möglich wäre, wenn …

Wieso also nicht gleich den Wandel wagen?

Den Perspektivenwechsel von der Absicherung eigener Pfründe, wohlerworbener Rechte und vertrauter Zugehörigkeiten hin zu einem mehr chancenorientierten Miteinander? In dem auch leisere, neuere Stimmen gehört und respektiert werden und zu einem fruchtbareren Miteinander beitragen können?

Persönlichkeit

Es ist schon eine ganze Weile her, als Pfarrer, Bürgermeister und Lehrer – ungegendert, versteht sich – als anerkannte Autoritäten den Ton angaben und Orientierung darüber verschafften, was erwünscht und was weniger erwünscht war.

Ein gesellschaftlicher Konsens darüber wird heute – falls überhaupt – auf dem freien Markt der Meinungen ausgehandelt. Die Verantwortung dafür, wie wir uns als Persönlichkeiten entwickeln, liegt mehr denn je bei jedem und jeder Einzelnen.

Wer die spannende Herausforderung, sich als Persönlichkeit zu entwickeln, nicht annimmt oder sie zurückdelegiert an die Ikonen der Gegenwartskultur läuft Gefahr, sich dabei selbst zu verlieren und das wohl Wertvollste zu verpassen: Das eigene Leben.

Wieso also nicht gleich den Wandel wagen?

Den Perspektivenwechsel vom Opfer der Umstände zum beherzten Schöpfer seiner und zur beherzten Schöpferin ihrer selbst? Über Erfolge und Misserfolge hinweg hin zu einer reifen Persönlichkeit, die an die Stelle vermeintlicher Abhängigkeiten und Bindungen die freiwillige und freimütige Zuwendung und Verbundenheit mit einem Kernanliegen gesetzt hat?

Wer seine Zukunft nicht selbst gestaltet, wird gestaltet. Weshalb also nicht gleich selbst Hand anlegen?

© Header Photo by Nick Fewings on Unsplash