Reputation Management – Was jenseits von Marketing wirklich wirkt

Eine Zugfahrt die ist lustig. Und man tut dabei etwas für die eigene Co2-Bilanz. Und gegen den Stau auf den Straßen. Und man kann arbeiten, statt nur sinnlos hinterm Lenkrad zu sitzen.

Zumindest in der Theorie.

Was eine Zugfahrt aber auf jeden Fall bietet: Einblick in die Lebenswelt der unterschiedlichsten Berufsgruppen. Beispiel gefällig?

Der Sportfunktionär

In einem gesunden Körper ruht ein gesunder Geist. Das wussten schon die alten Griechen. Entsprechend positiv besetzt ist auch das Berufsbild des Sportlers: Engagierte, leistungswillige Menschen, die sich tüchtig fordern.

So weit, so gut.

Kurz vor Mittag, die 1. Klasse ist kaum zur Hälfte besetzt. Hier und da sind Laptops hochgefahren, nur ab und zu unterbricht ein kurzes, dezent geführtes Telefonat die Arbeitsatmosphäre. Es geht was weiter.

Zwei Stunden später liegt Knistern in der Luft. Der Herr drei Sitzreihen vor mir unterhält sich lautstark mit seinen Kollegen. Ein Mitreisender bittet höflich, aber bestimmt, das Gespräch etwas leiser zu führen – vergeblich.

Inzwischen – nach der zweiten Runde Bier scheint die Selbstkontrolle nicht mehr so recht zu funktionieren – weiß das ganze Abteil, dass es sich um einen Sportfunktionär handelt. Namen fallen, Zusammenhänge werden vollmundig ausgebreitet.

Das alles erfahren wir gratis. Es kostet nur … unsere Zeit.
Und der Berufsgruppe ein bisschen von ihrem guten Ruf.

Lokführer-Treff

Inzwischen ist es Nachmittag geworden. Die Fußballer sind gerade ausgestiegen und es kann wieder in aller Ruhe gearbeitet werden. Bis zur nächsten Station.

Eine lustige Truppe steigt zu – Party ist angesagt. Wieder wird Bier durch den Wagon gereicht. Schließlich wird hier auch am Platz bedient.

Erneut die Bitte, sich etwas leiser zu unterhalten. Wir werden höflich darauf hingewiesen, dass der Zug mit einem eigenen Ruheabteil ausgestattet sei. Dort dürfe man sich dann auch ungeniert beschweren, wenn jemand einen Laut von sich gebe.

In der Folge werden wir über das unterschiedliche Lohnniveau von Bahnbediensteten in Deutschland, Österreich und Ungarn informiert. Wir erfahren Einzelheiten über Dienstpläne, Urlaubsreisen in die USA und die neuen Mercedes-Modelle. Im Übrigen gehe es einem als Arbeiter inzwischen wirklich dreckig. Die reinste Sklavenarbeit sei das.

Das alles erfahren wir gratis. Es kostet nur … unsere Zeit.
Und der Berufsgruppe ein bisschen von ihrem guten Ruf.

Die Gewerkschaftstagung

Nach einer guten Stunde, in der an Arbeit nicht mehr zu denken ist, wird endlich ein Tisch im Speisewagen frei. Dort geht die Post erst wirklich ab. Die Eisenbahner verbrüdern sich mit einer Abordnung Gleichgesinnter, die direkt von einer Gewerkschaftstagung kommen.

Ich habe bereits den Laptop gegen eine Zeitung ausgetauscht. Vielleicht geht das noch. Dachte ich mir.

Inzwischen wird … nun ja: gesungen. Heimatlieder.

Ich mag es, wenn Menschen singen. Ich singe selber gerne. Eigentlich meistens im Auto – da ist man so schon ungestört.

Diesmal habe zumindest ich dann nichts mehr weiter erfahren.
Ich hatte dann doch die Gelegenheit genutzt, etwas Musik zu hören.

Mit Kopfhörer, versteht sich.
Man möchte ja schließlich die Mitreisenden nicht belästigen.

Das Bewerbungsgespräch

Dermaßen geläutert spricht auf der Rückfahrt einiges – im Grunde alles für ein Upgrade auf einen Sitz im Business-Abteil.

Gesagt, getan. Doch wenn das Glück zuschlägt, dann kräftig.

Zwischen Linz und Salzburg findet im Nebenabteil ein ausführliches Bewerbungsgespräch für ein Tiroler Handelsunternehmen statt. Die Beteiligten scheinen ganz gut miteinander zurecht zu kommen und breiten erstaunliche Details, Rahmenbedingungen und Ziele in aller (überschaubarer) Öffentlichkeit aus.

Diskretion ist offensichtlich nicht jedermanns Sache.

Reputation Management

Nun ist es eins, sich bei der Nase zu nehmen und ernsthaft zu überlegen, wie wir uns als Berufsgruppe, Unternehmen, Familie oder als Einzelpersonen in der Öffentlichkeit verhalten.

Jede/r liegt mal daneben.

Aber was heißt das für uns im professionellen Kontext?
Und welche Rolle wird Reputation Management in Zukunft spielen?

In einem spannenden Interview mit dem Titel Führung ist ein gesellschaftliches Thema vertritt der bekannte deutsche Honorarprofessor Peter Kruse eine brisante These.

„Ohne eine Reputation im gesellschaftlichen Kontext werden Unternehmen in Zukunft nicht mehr regional überlebensfähig sein.“

Und dabei geht es nicht um verhältnismäßig unbedeutende „Kollateralschäden“ die ein paar Feiernasen bei einem Duzend Mitreisenden im Zug anrichten. Der Ärger über ein paar verlorene Stunden im Zug ist ja bei den Meisten nach wenigen Stunden wieder verraucht.

Bedeutend brisanter wird das Thema, wenn soziale Netze ins Spiel kommen und entsprechendes (Fehl)Verhalten Einzelner schlimmstenfalls als negatives „Image-Video“ in den diversen Foren seine Kreise zieht.

Sensibilisierung – Aufmerksamkeit – Bewusstheit

Es gibt dafür eine Lösung. Und die spielt sich jenseits jeglicher glänzender Image-Broschüren ab:

Die Entwicklung tragfähiger und belastbarer Unternehmensidentitäten und Sensibilisierung der eigenen Mitarbeitenden für diese existenziellen Unternehmenswerte.

Und was haben Sie davon?

  • Eine Unternehmenskultur, für die Wertschätzung und Diskretion im Umgang mit Mitarbeitenden und Bewerbern eine Selbstverständlichkeit ist.
  • Eine Gewerkschaft, die sich ernstlich und respektvoll um die reale Lebenssituation der Menschen kümmert.
  • Eine Bahn, der es sichtlich ein Vergnügen ist, dich sicher und bequem ans Ziel zu bringen.
  • Einen Sportverband, dem man die Begeisterung für sportliche Höchstleistungen abnimmt.

Das alles bekommen wir nicht gratis, es kostet etwas Hirnschmalz.
Und ehrliches Engagement.

Sekt und Feuerwerk

Neujahrsvorsätze – Alle Jahre wieder

Also ich persönlich mag sie ja überhaupt nicht: Neujahrsvorsätze. Alle Jahre wieder diese Erinnerung, wie viel wir selbst in die Hand nehmen und ändern könnten … wenn wir wollten. 

Doch mit den folgenden 7 Tipps wird es Ihnen mit Sicherheit gelingen, den wohlgenährten inneren Schweinehund vor diesen moralinsauren Tyrannen in Sicherheit zu bringen.

Geben Sie nicht auf, noch ist nichts verloren – es genügt nur ein klein wenig Trägheit, und alles bleibt beim Alten. 😉

Tipp 1: Leugnen, leugnen, leugnen!

Zugegeben, dafür ist es jetzt schon reichlich spät. Zumindest, wenn es Sie auf der Silvesterparty kalt erwischt hat und Sie sich vor der lästigen Frage nach Ihrem Neujahrsvorsatz nicht mehr rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Vielleicht aber hatten Sie schon selbst den entsprechenden Riecher – oder einfach nur das Glück – dabei zumindest möglichst vage zu bleiben.

„Ich werde weniger rauchen, gesünder leben, mehr Sport betreiben“ – das wäre schon mal ein vernünftiger Ansatz, der Ihnen mit Sicherheit einen einigermaßen akzeptablen Interpretations-Spielraum ließe.

Kommt es dann tatsächlich mal zum Showdown, bleibt Ihnen immer noch der Plan B. Oder C.

„Wie meinst du? Weniger rauchen? Ja sicher doch, mach ich eh. Ist heute erst die 5te! Und außerdem hab ich zur Jause schon einen Apfel gegessen. Und gestern war der Lift außer Betrieb und ich hab die Treppen genommen – war eine gute Gelegenheit, wieder mal was für den Körper zu tun.“

Irgendetwas in der Richtung wird Ihnen bei entsprechendem Training schon einfallen, mit dem Sie nochmals mit heiler Haut davon kommen.

Tipp 2: Tarnen und Täuschen – Ja, aber … so war das doch gar nicht gemeint!

Wenn Sie das Pech haben, sich auf etwas Konkreteres eingelassen zu haben, wird’s etwas enger. Aber – nur Mut: Auch hier gibt’s Abhilfe!

Gehen wir mal davon aus, Sie hätten tatsächlich den Fauxpas begangen, zum Beispiel das Wort Abnehmen in den Mund zu nehmen – und Gott bewahre vor einem in konkreten Zahlen benannten Ziel.

Lassen Sie uns die Sache etwas differenzierter angehen: „Ich will 5 Kilo abnehmen“ ist eine managebare Challenge. Für „unter 80 Kilo“ müssten wir noch schärfere Geschütze auffahren – dazu später.

Nehmen wir mal an, Sie hätten tatsächlich den Fehler begangen, „5 Kilo abnehmen“ zu wollen … oder zu sollen … oder … eigentlich zu müssen aber nicht zu wollen.

Da behelfen Sie sich am Besten damit, dass Sie noch in der Sylvesternacht möglichst kräftig auf die Pauke hauen. In vielen Häusern gibt’s den Brauch der Mitternachts-Sülze.

Nein, ich meine nicht die Musik, die auf den diversen Fernseh-Kanälen läuft, sondern schon etwas Gewichtigeres. Aus richtigem Schweinefett. Am Besten mit Essig und viel Öl. Und auch reichlich Alkohol hilft, Ihr Vorzeigegewicht noch kurzfristig zu pushen.

Vergessen Sie nicht, jetzt – bestenfalls vor Zeugen und wenn möglich noch mit einem schweren, dicken Strickpulli – die Benchmark festzulegen. Und zwar, bevor Sie die Toilette aufgesucht haben!

Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen: Nichts leichter, als nach so einer Nacht innerhalb von 1-2 Tagen besagte 5 Kilo abzunehmen. Besonders dann, wenn Sie den Erfolgsnachweis dann nach dem morgendlichen Toilettgang, vor dem Frühstück – und selbstverständlich höchstens in Unterwäsche antreten.

Wenn Sie also schon den Fehler eines so konkreten Neujahrsvorsatzes begangen haben, dann bringen Sie’s auf diesem Weg möglichst rasch hinter sich und stellen den Fotobeweis sofort auf Facebook – Sie haben dann bis zum nächsten Jahreswechsel wieder Ihre Ruhe und streifen nebenbei mit Sicherheit ein paar „Likes“ ein.

Erfolgsmeldungen kommen an bei den Leuten.

Tipp 3: Einen Schuldigen finden – Da kann doch ich nichts dafür!

Zurück zur verschärften Ausgangslage. Sie haben also tatsächlich den Fehler gemacht, sich statt eines relativen ein absolutes Ziel zu setzen? Das jede x-beliebige Wundernase jederzeit problemlos überprüfen kann? „Unter 80 Kilo“???

Finden Sie einen Schuldigen! Möglicherweise haben Sie in der Verwandtschaft oder im Freundeskreis eine Person, die im Jänner Geburtstag feiert. Idealerweise jemanden in einer … sagen wir mal … Krisensituation. Oder zumindest in einer Situation, die man nach Außen als Krise darstellen könnte.

„Weißt du, die Tante Ilse. Der geht es doch schon seit Jahren so schlecht: Seit ihre Perserkatze sich damals beim Sprung aus dem ersten Stock die rechte Pfote verstaucht hatte, war sie eigentlich immer irgendwie … depressiv. Und wie versessen auf Torte. Also – was soll ich sagen: Ich hab’s da einfach nicht über’s Herz bringen können und hab ihr meinen Neujahrsvorsatz geopfert. Schließlich ist sie meine einzige Tante und da hat man schon auch eine soziale Verantwortung …“

Wenn Sie sich geschickt anstellen, kommen Sie also auch hier noch relativ gut davon – und mit ein bisschen Glück ernten Sie dazu noch die Anerkennung Ihres Freundeskreises für diese soziale Heldentat.

Tipp 4: Einen Grund finden – Es ist doch bloß, weil …!

Auch dieser Tipp könnte für Sie eine vernünftige Alternative sein. Sie müssten dann allerdings den Grund für Ihr Abweichen von einem einmal gefassten Neujahrsvorsatz ganz bei sich selber finden. Und der muss schon was hermachen, sonst könnte der Schuss nach hinten losgehen …

Zwei Möglichkeiten stehen Ihnen zur Verfügung: Die klassische Ausrede. Ähnlich wie bei Tante Ilse können natürlich auch in Ihrem eigenen Leben Umstände eintreten, die einen radikalen Kurswechsel verlangen.

Ganz abhängig von Ihren Vorlieben und der aktuellen Gefahrenlage zwischen Vogelgrippe, Schweinepest, Rinderwahnsinn, Ebola oder nuklear belasteten Ökosystemen bietet es sich an, persönliche Szenarien zu entwickeln, die sich zweifelsfrei mit diversen Studien belegen lassen:

„Bei der derzeitigen Gefährdungslage kann ich meine Pilzdiät einfach nicht aufrecht erhalten, die radioaktive Belastung ist einfach zu hoch.“ – dieses Argument zieht übrigens auch bei Meeresfischen und deutet ganz nebenbei auf ein hohes Umweltbewusstsein hin.

Ähnliche Strategien lassen sich sinngemäß auch zu den anderen saisonal auftauchenden Ängsten entwickeln.

Die zweite Möglichkeit liegt darin, Ihren Neujahrsvorsatz einem höheren Ziel unterzuordnen. Das ist heldenhaft und die Gefahr der Entlarvung ist etwas geringer.

„Weißt du, ich habe mich nach langem Kampf dazu durchgerungen, nochmals eine Weiterbildung anzufangen. Ich meine: Es ist zwar bei meiner derzeitigen beruflichen Belastung praktisch unmöglich, die dann auch abzuschließen, aber es ist mir einfach wichtig, es zu versuchen. Und meine Mutter wollte immer schon, dass mal was G’scheits aus mir wird …“

Sie sehen. Das macht ganz schön was her und bietet Anknüpfungspunkte für dekorative Elemente. Allerdings muss dabei unbedingt und frühzeitig auf eine vernünftige Ausstieggelegenheit geachtet werden!

***

Mit etwas Geschick sollte es Ihnen mit den erwähnten Strategien bereits gelungen sein, aus den Fängen eines unvorsichtig geäußerten Neujahrsvorsatzes zu entkommen. In ganz zähen Fällen müssen Sie wohl oder übel auf eine der folgenden 3 Strategien zurückgreifen – das kann jedoch ganz schön riskant werden. Und anstrengend.

Tipp 5: Die Nebelbombe – Stiften Sie Verwirrung!

Wenn Sie selbst schon den Überblick verloren haben und die unmittelbare Gefahr besteht, dass Sie jemand eiskalt bloßstellt und Ihr Neujahrsvorsatz bereits wie ein blankes Damoklesschwert über Ihrem Haupt schwebt, haben Sie mit der Vernebelungstaktik eine letzte Chance, der unliebsamen Bloßstellung zu entkommen.

Sprechen Sie schnell, assoziativ, unzusammenhängend und in stetigem Wechsel der Perspektive. Vielleicht fällt Ihnen gerade ein, dass Sie zu Hause das Bügeleisen noch nicht ausgeschaltet haben oder dass die Badewanne gerade überläuft. Fragen Sie nach den Kindern, der Großmutter oder dem Arbeitsplatz des Gegenübers. Stellen Sie alles Mögliche und Unmögliche an, um aus dieser peinlichen Situation zu entkommen.

Wenn’s gar nicht anders geht, versuchen Sie sich so ungeschickt zu bewegen, dass Sie Ihren Kaffee verschütten oder Ihnen die Naht Ihrer Kleidung reißt.

Alles ist gut, wenn es nur die Aufmerksamkeit von Ihrem Neujahrsvorsatz ablenkt!

Tipp 6: Gegenangriff – Das schafft doch kein Mensch!

Es hat Sie also tatsächlich erwischt. Froschkalt. Messerscharf. Gnadenlos. Alle bisherigen Tipps haben Sie keinen Millimeter mehr weiter gebracht und Sie stehen dem absoluten Versagen Aug in Aug gegenüber.

Ihr Neujahrsvorsatz hat sich zu seiner vollen moralischen Größe aufgerichtet und holt bereits zum letzten vernichtenden Schlag aus: Du hast versagt! Schon wieder!

Jetzt gilt es Nerven zu bewahren. Wischen Sie den kalten Angstschweiß von Ihrer Stirn. Aber unauffällig! Richten Sie sich auf und sammeln Sie all Ihre Kräfte für Ihr letztes Aufbäumen. Erinnern Sie sich an Gandalfs Kampf gegen den Balrog in der 2. Folge von Herr der Ringe: „Du kommst hier nicht durch!“

Lassen Sie jetzt einen Sermon vom Stapel, der sich gewaschen hat: Sprechen Sie unverblümt von der menschlichen Natur und der ihr angeborenen Schwäche. Greifen Sie auf die Erfahrung von ein paar Philosophen oder Heiligen zurück. Zitieren Sie aus der Literatur, aus der Bibel … oder noch besser: Zitieren Sie Buddha!

Geben Sie alles, was Sie haben. Denn wenn es Ihnen in der hitzigen Atmosphäre dieses Aufbegehrens nicht gelingt, die Absurdität des Gedankens an einen Neujahrsvorsatz bloßzustellen, dann sitzen Sie endgültig in der Falle …

Tipp 7: Kapitulation – Alles ist verloren

… und die schnappt gnadenlos zu. Es ist bereits Mai, die 80 haben Sie auf der Wage auch schon länger nicht mehr gesehen – nicht einmal im Rückspiegel. Und die Bademode der neuen Saison verspricht auch heuer nicht, die allzu persönlichen Kurven in keuscher Anmutigkeit zu bedecken.

Erst jetzt wird’s wirklich ernst. Pech gehabt – das haben Sie sich selbst eingebrockt, Sie wollten es so haben.

Was Ihnen jetzt noch bleibt: Stellen Sie sich an die Spitze einer neuen Sozialen Bewegung!

Procrastinators* of the world unite! – tomorrow.

* Prokrastination (lateinisch procrastinatio ‚Vertagung‘, Zusammensetzung aus pro ‚für‘ und cras ‚morgen‘), Erledigungsblockade, Aufschiebeverhalten, Erregungsaufschiebung, Handlungsaufschub oder Bummelei, ist das Verhalten, als notwendig aber unangenehm empfundene Arbeiten immer wieder zu verschieben, anstatt sie zu erledigen.

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Meinungsfreiheit

Meinungsfreiheit – Das Recht der Anderen

Wer sich damit näher befasst, merkt rasch: Das Thema ist umfassender als auf den ersten Blick angenommen werden könnte. Meinungsfreiheit. Was hat das mit uns konkret zu tun? Mit unserem täglichen Leben, Arbeiten – Mit der Art, wie wir unsere Betriebe führen?

Es gibt Themenkomplexe, auf die wir fast tagtäglich stoßen – Running Gags. Das hat mit unserer persönlichen Wahrnehmung zu tun. Und mit unserer kollektiven Verfasstheit als Gruppe. Da ist dann die Rede von „Wertegemeinschaft“ oder „Unternehmenskultur“.

Hot Spots. Kristallisationspunkte der (öffentlichen) Debatte.

Aus der Distanz sieht man die Dinge in der Regel etwas klarer. Zwei Beispiele.

In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte der Diskurs zum Thema Schwangerschaftsabbruch wenig Sachliches. Da prallten Weltbilder aufeinander: „Mein Bauch gehört mir“ wurde zum Schlagwort einer sich emanzipierenden Frauenbewegung. Die Fronten zwischen „konservativ“ und „emanzipiert“ waren rasch gezogen und differenziertere Betrachtungsweisen zwischen den Extremwerten fanden wenig Gehör.

Die 80er Jahre wurden dann zur Geburtsstunde der Ökologiebewegung. Die Erkenntnis, dass die Bäume zwar in den Himmel, aber nicht darüber hinaus wachsen, führte bei Vielen zu Nachdenklichkeit und der Suche nach Alternativen. Die Bandbreite des Diskurses spielte sich ab zwischen „Jute statt Plastik“, „No Future“ und dem völligen Ablehnen jeglicher Verantwortung für Umwelteinflüsse.

Ich erinnere mich an eine Diskussionssendung („Club 2“), in der ein prominenter Vertreter der Seilbahnwirtschaft allen Ernstes argumentierte, die durch menschliches Zutun herbeigeführte Erderwärmung würde den Planeten vor einer geologisch bereits seit mehreren hunderttausend Jahren überfälligen Eiszeit bewahren.

Nun ist die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche laut Statistiken seit den frühen 80ern um etwa 50% zurückgegangen und längst hat sich eine sogenannte „blue economy“ herausgebildet, die sich zum Ziel setzt „mehr mit weniger“ zu erzeugen.

Beide Entwicklungen verdeutlichen – wenn auch nicht das Ende ideologisierter Debatten – so doch eine etwas nüchternere Pragmatik. Das Leben ist nun einmal bunt und nur Weniges lässt sich sinnvoll in ein simples Schwarz-Weiss-Schema pressen.

Meinungsfreiheit heute.

Heute bieten sich entzündbaren Geistern andere Konfliktfelder. Zum Wettern und Zetern. Zum Fürchten und Anklagen. Zum Kämpfen und Ringen. Mit Worten und Taten. Und inzwischen auch wieder mit Toten.

Offensichtlich übt die geladene Atmosphäre erhitzter Menschenmassen eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus auf linke wie rechte, säkulare wie religiöse, hetero- wie homosexuelle Menschen, die sich fraglos gedrängt fühlen, ihren persönlichen Standpunkt lautstark der Öffentlichkeit mitteilen zu müssen.

Soweit so gut. Wir leben in einer offenen Gesellschaft, die es sich auf die Fahnen heftet, mit Diversität umgehen zu können und Individualität als höchstes Gut zu vertreten.

Wirklich?

„Meinungsfreiheit“ wird dieser Tage quasi als Schlachtruf in’s Feld getragen. Doch dahinter verbirgt sich beschämend selten der Wunsch, die Meinung der Anderen verstehen und anerkennen zu können. Wohl eher das platte Bestreben, der eigenen Meinung Gehör zu verschaffen – und zwar gehörig.

Dabei gleichen sich die diversen Darbietungen der jeweiligen Proponenten unabhängig vom jeweiligen Format – gleichgültig ob „Spaziergang“ – „Protest-“ oder „Solidaritätskundgebung“ – und erwecken unisono den Eindruck eines aus dem Rahmen gefallenen Faschingsumzugs.

Diversity

Bunt ist schön. Gebt dem Leben eine Chance, sich zu entfalten! Vielfalt statt Eintopf.

Die Vielfältigkeit unserer Lebensentwürfe ist längst gesellschaftliche Realität. Das sprichwörtliche „man“ hat ausgedient und – zumindest in Westeuropa – sind der Meinungsfreiheit kaum Grenzen gesetzt.

Ich glaube, das ist das Beste, was wir uns wünschen können.

Menschen entscheiden sich aus ihren persönlichen Gründen für dieses oder jenes Lebenskonzept. Für diese oder jene Art zu essen, zu genießen, zu lieben. Sie entscheiden sich, an Dieses oder Jenes zu glauben oder eben nicht daran zu glauben. Sich gesund oder weniger gesund zu ernähren, Sport zu treiben, zu rauchen, Bücher zu lesen, spazieren zu gehen oder vor der Glotze zu sitzen.

Dass es den einen oder anderen recht gesicherten Zusammenhang gibt. Zum Beispiel zwischen Rauchen und Lungenkrebs. Zwischen üppigen Speisen und Blutwerten. Zwischen unterschiedlichen Formen des Sozialverhaltens und zu erwartenden Reaktionen des Umfelds. Das dürfte sich bei den Meisten schon herumgesprochen haben.

Doch bietet uns die Statistik genügend Spielraum. Nicht jeder Raucher wird krank und auch nicht alle Randalierer werden irgendwann tatsächlich in die Schranken gewiesen. Manche Menschen scheinen mit recht destruktiven Verhaltensmustern erstaunlich gut über die Runden zu kommen.

Und manche Menschen haben einfach den Mut, ganz anders zu leben und etwas völlig Neues auszuprobieren.

„Damit das Mögliche entsteht,

muss immer wieder

das Unmögliche versucht werden.“

Hermann Hesse

Meinungsfreiheit: Mehr als eine leere Worthülse?

Vor einigen Jahren hielt ich mich über längere Zeit in Jerusalem auf. Ja, diese Stadt meine ich, in der so viel gestritten, gekämpft, gelitten, gebetet und gelogen wird.

Im Ostteil der Stadt, gleich außerhalb der Altstadt, saß ich in einem gepflegten arabischen Restaurant und nahm ein typisch orientalisches Gericht zu mir. Am Nebentisch unterhielten sich ein orthodoxer Rabbiner und mehrere arabische Männer lautstark – und wie es den Anschein machte in gelöster Stimmung. Es wurde gelacht und auf die Schenkel geklopft.

Nachdem ich die Szene eine Zeit lang beobachtet hatte, wandte ich mich an einen Ortskundigen und zeigte mich überrascht. Bei der allgemeinen Lage in der Region hätte alles erwartet, nur nicht das.

Mein Gegenüber wies mich darauf hin, dass viele orthodoxe Juden in einem recht angespannten Verhältnis zum Staat Israel stehen … und sich darüber mit einem Teil der arabischen Gesellschaft ähnlicher Meinung wissen.

„Wie stehst du eigentlich zu …“ und „Welche Erfahrungen habt denn Ihr gemacht mit …“.

Fragen dieser Art könnten durchaus geeignet sein, Horizonte zu öffnen und Lebenswelten verständlicher zu machen – möglicherweise bei allen Beteiligten.

Als in Deutschland die ersten Probleme mit einer neu erstarkten Rechten öffentlich wahrnehmbar geworden waren, strahlte das deutsche Fernsehen einen Bericht über ein Projekt aus, das mir imponierte: Eine Gruppe von Sozialarbeitern schickte einschlägig auffällig gewordene Jugendliche auf einen Kulturaustausch in die Türkei. Die jungen Leute wurden vorher über ihre Erfahrungen und Erwartungen interviewt, während des Aufenthalts mit der Kamera begleitet und sie berichteten nach ihrer Rückkehr über ihre Erfahrungen. Das Projekt scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein.

Offensichtlich ist der direkte Kontakt mit dem jeweiligen Gegenüber unter günstigen Rahmenbedingungen ein möglicher Weg zu gegenseitigem Respekt und Verständnis.

Der konkrete Alltag. Im Wohnviertel …

Nun ist es Eins, sich aus sicherer Distanz über gesellschaftliche Phänomene und scheinbar zufällige Urlaubserfahrungen zu räsonieren – und etwas ganz Anderes, den konkreten Alltag mit Menschen zu verbringen, die … scheinbar so ganz anders ticken wie wir.

Nach meinem Studienabschluss wohnte ich für einige Jahre mit meiner jungen Familie in einer herrlichen Neubauwohnung mit Wintergarten und Blick auf den Sonnenuntergang am Bodensee. Was für ein Glück.

In eben dieser Wohnanlage hatte die öffentliche Hand Sozialwohnungen erworben, in denen fast ausschließlich Familien mit Migrationshintergrund untergebracht waren.

Im Lauf der Monate wich die erste Freude über das bunte Treiben, die orientalische Musik und die fremden Gerüche … und langsam machte sich ein beklemmendes Lebensgefühl breit. Ob des bunten Treibens, der orientalischen Musik und der fremden Gerüche.

Dabei hatten wir ein sehr anständiges Verhältnis zu unseren Nachbarn. Und als uns die Wohnung nach drei Jahren zu klein geworden war und es sich herumsprach, dass wir ausziehen würden, sind Abschiedstränen geflossen. Auf beiden Seiten.

Meinungsfreiheit. Das Recht der Anderen.

Das Recht, etwas andere Zeiten von Aktivität und Ruhephasen zu haben. Statt Mittagspause Remmidemmi. Das Recht, am Sonntag Nachmittag einen privaten Basar abzuhalten. Mit Kleidungsstücken, Gemüse und Fisch – frisch aus dem Kofferraum des privaten Kombis.

Es ist mir im Lauf der Zeit schwerer gefallen, meinen Nachbarn dieses Recht von Herzen zuzugestehen.

Es war und ist dennoch gut, dass sie dieses Recht hatten.

… und im Betrieb.

Die „offene Gesellschaft“ ermöglicht es uns, unser privates Umfeld relativ frei von Einflüssen zu gestalten und weitestgehend ein Leben zu führen, wie wir es für richtig halten. Das hat uns zu großer persönlicher Freiheit und einem blühenden, bunten Sozialleben geführt. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung sieht das als enormen Vorteil.

Und in unseren Betrieben?

Der Vorteil der Perspektive eines externen Beraters ist … die externe Perspektive.

In vielen Kontakten zu Geschäftsleitungen und Mitarbeitenden stelle ich immer wieder eine relativ hohe Autoritätsgläubigkeit fest.

Hierarchische Strukturen spielen nicht mehr ganz die Rolle wie noch vor 20 Jahren. Doch nach wie vor ist es für Führungskräfte immer wieder eine veritable Herausforderung, neue Perspektiven und Ideen von Mitarbeitenden wirklich ernst zu nehmen und der Versuchung zu widerstehen, entsprechende Beiträge mit einem knappen „eh scho wissen“ vom Tisch zu wischen – genauso wie es umgekehrt nicht immer ganz leicht ist, Menschen aus einer lethargischen Grundhaltung à la „Was geht das mich an, ich mach hier nur meinen Job“ zu mehr echtem persönlichem Engagement zu bewegen.

Nun wird es auch im betrieblichen Kontext wenige Menschen geben, die sich nach reiflicher Überlegung offen gegen Meinungsfreiheit aussprechen und „Dienst nach Vorschrift“ als optimale Grundhaltung anstreben. Doch die gelebte Praxis sieht allzu oft anders aus.

Heerscharen von Beratern, Trainern und Coaches verdienen damit ihr Geld.

Wissen, was wirkt.

Wenn sich ein Unternehmen die Mühe macht, in Beratung / Training / Coaching zu investieren, dann geschieht das in den seltensten Fällen aus Philanthropie. Dahinter steht ein manifestes Interesse: Die eigene Ertragskraft verbessern.

Nach einer Phase der Methoden- und Produktverliebtheit schwingt das Pendel der Beraterbranche wieder stärker in Richtung der konkreten Menschen. Selbstreflexion ist das Gebot der Stunde und Trendsetter setzen auf den Menschen als Mittelpunkt – statt Mittel. Punkt.

Die Herausforderung

Die Herausforderung besteht heute zweifelsohne darin, dass wir uns wieder verstärkt auf Grundfragen einlassen: Wer sind wir? Was wollen wir? Was können und wollen wir tun?

Wer sich auf diese Fragen einlässt, macht sich auf einen persönlichen Erfahrungsweg, wie er spannender nicht sein könnte. Er oder sie wird gleichzeitig die Meinung und den Blickwinkel Anderer als wertvolle Ergänzung und möglicherweise auch Korrektur der eigenen Erlebenswelt anerkennen und zu schätzen lernen.

Unternehmen, die sich auf diese Fragen einlassen werden durch die zusätzlichen Perspektiven einer möglichst großen Anzahl von Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden deutlich an Profil gewinnen. Sie werden auf die Herausforderungen der Zeit mit kreativen neuen Lösungen antworten statt sich an Überkommenem festzuklammern.

Gesellschaften, die diese Fragen (wieder) verstärkt zulassen werden die drängenden Herausforderungen der Gegenwart viel umfassender verstehen und damit konstruktiver umgehen statt lediglich Unsummen in eine illusionäre Sicherheitsstruktur zu investieren.

Was alle drei gemeinsam haben: Sie haben keinerlei Erfolgsgarantie.

Doch wer wirklich hinschaut, das Recht der Anderen auf ihren eigenen Standpunkt respektiert und wirklich ernst nimmt, hat eine realistische Chance.

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Leuchtschrift "change"

Veränderung – Mensch, trau dich!

„Unsere Führungskräfte sind Menschen, die sich über Ihre Arbeit außerordentlich viele Gedanken machen“ – meinte unlängst der Geschäftsbereichsleiter eines Oberösterreichischen Industriebetriebs am Rande einer Teamklausur.

Sie stehen tagein, tagaus in der Brandung zwischen internen und externen Anforderungen und haben laufend widersprüchliche Interessen und Ziele unter einen Hut zu bringen. Und dann kommt in den allermeisten Fällen noch das ganz normale Tagesgeschäft dazu …

Doch wann bleibt dann wirklich noch Zeit, sich über die eigene Arbeit „Gedanken“ zu machen? Und sind „Gedanken“ das geeignete Instrument, das sie wesentlich weiter bringt?

Loslassen …

Von Martin Luther heißt es, zentrale Erkenntnisse seines Lebenswerkes seien ihm auf der Toilette zuteil geworden – und nicht am Schreibtisch seiner Studierstube.

Ähnliches berichten Musikerinnen und Musiker, die nach langem und intensivem Üben eine Pause einlegen. Schon nach einer kurzen Unterbrechung liegt das Instrument wieder ganz neu und ganz anders in der Hand und die Takte, an denen zuvor so hart gearbeitet wurde, fließen plötzlich wie von selbst aus den Fingern.

Tänzerinnen kennen das auch. Handwerker, Künstlerinnen, Autoren. Und Menschen, die von sich sagen, sie seien in einer besonders brenzligen Situation noch einmal „mit einem blauen Auge davongekommen“. Sterbende auch, die sich nichts mehr vormachen und ihre Prioritäten klar geordnet haben.

Vor Jahren hatte ich die Geschäftsführung eines profitablen Dienstleistungsunternehmens neu zu besetzen. Der Eigentümer legte besonderen Wert darauf, die in Frage kommenden Kandidatinnen und Kandidaten auf ihre Krisenfestigkeit zu überprüfen. Denn wer bereits einmal eine wirklich dramatische Situation erlebt habe, führe mit ruhigerer Hand und könne sich und das eigene Verhalten in Extremsituationen besser einschätzen.

… und Veränderung zulassen: Raum schaffen für Neues!

Dabei geht es in all diesen Fällen bestenfalls nebenbei um „Gedanken“ im eigentlichen Sinn. Alle diese Phänomene haben viel mehr mit einer Form von Selbstorganisation zu tun, die sich einstellen kann, wenn günstige Rahmenbedingungen gegeben sind.

Es sind gerade die Grenzbereiche zwischen hoch engagiertem Einsatz (Sinnieren, Üben, „Führen“) und entspanntem beiseite Legen eben dieser Kraftanstrengung. Matthias zur Bonsen nennt diese förderlichen Rahmenbedingungen „Strukturen am Rande des Chaos“.

Wenn sich Führungskräfte in ihrer täglichen Arbeit (und nicht in der komfortablen Seminarraum-Atmosphäre eines noch so guten Trainings) immer wieder einmal in diesen Grenzbereichen aufhalten, leisten sie ihren allerbesten Beitrag für eine lebendige Organisation.

Mensch, trau dich!

Ja, es erfordert Mut, sich aus der vermeintlichen Sicherheit scheinbar bewährter Strukturen heraus in die weite Landschaft des freien Geistes zu wagen. Gewohnte Pfade zu verlassen, sich auf die Sache und die beteiligten Menschen aus ganz neuer, ungewohnter Perspektive einzulassen.

Sich darüber „Gedanken machen“ ist wie Koffer packen. Die eigentliche Reise beginnt, wenn wir Veränderung zulassen, uns mutig dem Neuen aussetzen und auf die „Fruchtbarkeit am Rande des Chaos“ bauen.

Das gilt nicht nur für Führungspersönlichkeiten im engeren Sinn.

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Ein Kreisel

Work-Life-Balance – Die Quadratur des Kreises

Sie befinden sich auf einem schmalen Grat. Links und rechts fallen die Felswände steil und schroff ab. In die gefährlichen Schluchten von „work“ und „life“. Doch Ihnen gelingt es bravourös, die Balance zu halten. Gratuliere! Sie haben’s drauf!

Der Hamburger Arbeitspsychologe und Mobbing-Experte Rainer Müller hat dazu in den Sozialen Medien eine Diskussion angestoßen. Das kann dort ja alles sehr flott gehen: Einfach Artikel teilen, ein kurzer Kommentar dazu – und schon geht die Post ab. Wer sein Netzwerk pflegt, erhält Feedback: Bestätigung, Korrektur, Ergänzung, Querverweise – ein Eldorado für Menschen mit Interessen halt.

Aber gilt diese Zeit des Surfens, Lesens, Kommentierens jetzt als Arbeit? Oder Freizeit? Oder ist es beides zugleich?

„Work-Life-Schizophrenie“ lautete der Titel des geteilten Artikels übrigens. Hat mir hervorragend gefallen. Nur: Jetzt hab ich dauernd dieses Bild im Kopf. Von dem Artisten mit der langen Balancierstange – elegant und kunstfertig: Ein Bild wie gemalt.

Vorsicht, Arbeit!

Sie kennen vermutlich den kürzesten Selbständigen-Witz, oder? Selbst und ständig. Damit könnten wir das Thema auch schon wieder abschließen. Aber ganz so einfach ist es denn doch wieder nicht.

Vor vielen Jahren, als mit einem meiner ersten Auftraggeber bereits ein freundschaftlicher Kontakt entstanden war, hatte der mir eine interessante Frage gestellt. Er wollte wissen, wie viel Zeit ich zu Beginn unserer Zusammenarbeit für unseren gelungenen ersten Workshop mit der Geschäftsleitung seines Unternehmens tatsächlich aufgewendet hatte.

Der Auftrag war mir damals besonders wichtig gewesen, das Thema interessierte mich brennend – und entsprechend hatte ich sicher eine Woche Vorbereitungszeit investiert. Wie viel genau, das konnte ich nicht mehr sagen.

Ob ich denn keine Zeitaufzeichnung führe? Nein. Meinte ich – für wen denn auch.

Ok. Seit diesem Gespräch führe ich eine Zeitaufzeichnung. Eine ziemlich genaue sogar – und habe daraus eine Menge über mich gelernt. Darüber, welche Arbeiten eher liegen bleiben. Und wo ich auch an einem regnerischen Samstag Vormittag gerne zupacke … ganz einfach, weil’s mir keine Ruhe lässt.

In manchen schlauen Sprüchen heißt es, das sei dann gar keine Arbeit mehr. Wenn man es wirklich gerne macht.

Vorsicht, Freizeit!

Und doch tut es manchmal gut, Handy und Laptop zuzuklappen, die Bürotür abzuschließen und einfach mal loszulassen. Ein Abend unter Freunden. Ein Spaziergang am See. Urlaub mit der Familie am Meer. Einfach mal runterkommen.

Da triffst du dann auf diesen interessanten Menschen. Der dir schon nach kurzer Zeit erstaunlich offen von sich erzählt. Von erzielten Erfolgen und anstehenden Herausforderungen. Von Scheitern, Schmerz und daraus gezogenen Lehren.

Und schon bist du wieder mitten im Geschäft. Ich meine. Als Coach zumindest. Klar fährst du da im Hintergrund alles hoch, was du im Lauf der Jahre gelernt, erkannt, verstanden hast. Und klar, dass die Kontaktdaten ausgetauscht werden. Ich glaube, darüber sollten wir uns nochmals ausführlicher unterhalten.

Oder diese Kollegin, die du seit langem als brillante Architektin kennst. Die spät abends (oder früh morgens – je nach Betrachtungsweise) an der Bar gefragt wird, wie’s denn so laufe. Die von einem aktuellen Projekt zu plaudern beginnt und die Geburtstagsfeier eine Stunde später mit der Visitenkarte eines Geschäftsmanns verlässt, der sich gerade mit einem ähnlichen Problem herumschlägt.

Der Krankenpfleger auch. Der sich nach Wochen der Mehrfachbelastung endlich ein paar Tage frei nehmen kann um mit der Familie in die Berge zu fahren. Die Frau hat sich von der lästigen Grippe endlich erholt und die Kids haben auch ganz passable Halbjahreszeugnisse nach Hause gebracht – und das, obwohl es zuletzt wirklich nicht immer leicht war. Jetzt einfach ein paar Tage Schifahren: Das frische Aroma der Bergluft statt der keimfreien Krankenhausatmosphäre. Endlich.

Und am zweiten Tag verstaucht sich der Kleine den Knöchel. Statt Wedeln im Tiefschnee kühle Wickel und Märchen vorlesen in der Ferienwohnung. Und schon ist er wieder ganz in der Rolle aufgegangen. Es ist halt sein Leben.

Da soll sich noch jemand auskennen

Ob das mit dem „Loslassen“ vielleicht noch nicht so ganz klappt? Oder ob es so etwas gibt wie eine persönliche „Mission“? Vermutlich haben beide Sichtweisen eine gewisse Berechtigung.

Wenn wir uns schwer tun, aus unserer Geschäftigkeit auszusteigen und den Kopf einfach nicht mehr frei bekommen. Wenn sich unser Blick verengt, der Kopf schwer wird und wir auch in unserer Umgebung auf Widerstände stoßen. Dann könnte es durchaus Sinn machen, sich am Riemen zu reißen und eine vernünftig dimensionierte und gestaltete Auszeit anzutreten – und zwar ohne Schlupfloch.

Wenn es aber einfach nur so aus uns heraussprudelt. Wenn wir aufblühen dabei, intuitiv merken, dass wir einfach zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Wenn wir uns dabei so richtig lebendig fühlen. Dann bitte: Lasst uns unsere Kraft nicht vergeuden mit einengenden Konzepten, die zu nicht viel mehr taugen als besserwisserischer Bevormundung.

Wen wundert’s da, wenn unser Artist mit der Balancierstange betreten die Bühne verlässt. Er versteht die Welt nicht mehr, während sein Blick auf munter umherstreifende Alpendohlen fällt.

Elegant und kunstfertig segeln sie durch die Lüfte. Ein Bild wie gemalt.

Sie balgen und zanken sich um ein paar verlorene Brotkrumen und wechseln völlig unbekümmert über den Grat „zwischen“ den Schluchten, der für sie keinerlei Bedeutung zu haben scheint.

Tun, was zu tun ist

Die Diskussion um die sogenannte „work-life-Balance“ ist nicht neu. „Die Trennung von Arbeit und Beruf ist Bullshit“ bringt es Thomas Vasek auf den Punkt. Und Roger Koplenig schlägt stattdessen eine „Performance-Rest-Balance“ vor – also ganz einfach auf eine vernünftige Dosierung seines Engagements zu achten.

Was viele dieser neueren Ansätze gemeinsam haben ist die Verlagerung des Fokus. Wer versucht, eine Balance „zwischen“ dem Einen und dem Anderen zu halten, wird in Beidem scheitern.

Ein Weg ist ein Weg. Klar wird es links und rechts und mitten drin die eine oder andere Herausforderung zu bewältigen geben. Da gibt es nichts zu beschönigen.

Doch Wege entstehen im Gehen.
Nicht im Balancieren.

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