C.G. Jung – einer der Väter der modernen Psychologie – hat ein interessantes Modell menschlicher Wahrnehmungstypen entwickelt. Er unterscheidet zwischen „Denken“ und „Fühlen“ einerseits und „Intuieren“ und „(sachlich) Wahrnehmen“ andererseits.
Auch wenn die jungsche Typologie von vielen Theoretikern als überholt abgelehnt wird, so sind deren konzeptive Ansätze in den meisten gängigen Modellen doch nach wie vor deutlich zu erkennen.
Dass sich diese Modelle immer noch großer Beliebtheit erfreuen liegt wohl an der knappen, plakativen und alltagstauglichen Verdichtung komplexer Sachverhalte zu deren Erfassung und Beschreibung uns – ohne Verkürzung – ganz einfach die Sprache fehlt.
Oder halten Sie es für sinnvoll, ihre operativen Führungskräfte mit den Hintergründen eines Leistungsmotivinventars LMI vertraut zu machen, bevor sie Ihre Truppe auf ein neues Etappenziel einschwören?
Die Tyrannei des Geistes
Eine der „typischen“ Fallen in vielen Organisationen ist die Tyrannei des Geistes.
Brillante Denker entwickeln komplexe Systeme zur Optimierung auch noch der geringsten Nebensächlichkeit … und legen unbewußt Fallstricke für engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die … nun ja: ganz einfach anders ticken.
Kreative Chaoten. Ruhelose Visionäre. Harmoniegesteuerte Beziehungsmenschen. Sicherheitsbedachte Datenanalytiker.
Wen wundert’s, wenn’s knirscht im Gebälk, sobald Menschen mit im Boot sitzen, die die Welt eben nicht primär mit dem Kopf wahrnehmen?
Da gibt es ein paar interessante Phänomene, die sich näher anzusehen lohnt.
Rebellion
Kennen Sie in Ihrer Organisation oder Ihrem Team Menschen, bei denen Sie den Eindruck haben, sie wären jederzeit für eine kleine Rebellion zu haben?
Es kommt Ihnen vor, als pflegten diese Menschen einen unausgesprochenen „Widerstand gegen alles was neu ist“, eine „ja, aber – Haltung“ … oder eine grundsätzliche Unwirschheit im Umgangston?
Oder es sind Persönlichkeiten, die in ihrem Umfeld eine ständige Unruhe auslösen: Nie zufrieden, dauernd neue – teils unausgegorene – Ideen?
Schade eigentlich um die ganze Energie, die da scheinbar ungenützt verpufft. Bestenfalls.
Schlimmstenfalls entstehen dadurch eskalierende Konflikte, Mobbing, Intrigen, Krankheit, Burnout … oder einfach eine grottenschlechte Stimmung im Team.
Dienst nach Vorschrift
Vielleicht aber auch einfach nur scheinbar fehlendes Engagement: „Geht mich nichts an“ – „ist nicht mein Job“ – „Was hat das mit mir zu tun“.
Spätestens beim Rückzug auf einen „Dienst-nach-Vorschrift“-Standpunkt sollten im System sämtliche Alarmglocken laut schrillen.
Man braucht nicht Shakespear-Kenner zu sein um dann zu erkennen, „da ist was faul im Staate Dänemark“.
Innere Kündigung – Kündigung – Verleumdung
Wer sich lange genug zurückgehalten hat und sein Potenzial über eine längere Zeit brach liegen lässt, beschreitet allzu oft den Karrierepfad der inneren und letztlich äußeren Kündigung … und nimmt nicht selten den einen oder anderen Kollegen mit in die Emigration.
Und: Hatten Sie schon einmal das zweifelhafte Vergnügen zu hören, wie auf diesem Weg aus dem Unternehmen Ausgeschiedene über den verflossenen Arbeitgeber sprechen?
Üble Nachrede. Verleumdung. Oder in Neudeutsch: shitstorm.
Oder – aus der Perspektive des Arbeitgebers: „employer branding“, wie es gerade nicht hilfreich ist.
Verschenktes Potenzial
Mit Rebellen, Verweigerern oder Absprungbereiten ist es nie ganz leicht, ein schlagfertiges Team aufzubauen.
Aber genau diese Phänomene entpuppen sich häufig als die oberflächlichen Anzeichen für wahre Goldadern.
Da gibt es diesen Kartoon des biederen Schlipsträgers, der bei der Personalauswahl scheinbar lauter kleine Kopien seiner selbst anstellt – um ihnen dann jovial auf die Schulter zu klopfen: „Gratuliere, Herr Müller. Sie passend hervorragend ins Team!“
In der Teamentwicklung bin ich immer wieder alarmiert, wenn’s zu harmonisch wird.
Teams sind schließlich keine Kuschelrunden sondern Einheiten, die sich ihren Aufgaben durchaus mit einem gesunden Maß an Konfliktfähigkeit und -bereitschaft stellen sollten. Sofern sie tatsächlich ambitionierte Ziele erreichen wollen.
Denn um einer einigermaßen komplexen Herausforderung gewachsen zu sein, dafür braucht es meist ein ganzes Bündel an unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten – und ein kontinuierliches flexibles Anpassen auf sich möglicherweise verändernde Rahmenbedingungen.
Sich an einmal entwickelten „best practice“-Beispielen festzuklammern kann hier schnell in die Sackgasse führen.
Gerade diejenigen, die sich von einer herrschenden „Teamkultur“ an den Rand gedrückt empfinden sind nicht selten die Träger wertvoller ergänzender Betrachtungsweisen.
Sie genauer kennen zu lernen lohnt sich auf jeden Fall. Und sei es nur um für den Fall einer tatsächlichen Trennung sicherzustellen, dass sie sich nicht zu Litfaßsäulen der üblen Nachrede entwickeln.
Kaum was ist gefährlicher als verletzter Stolz.
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