Eine träumende Person

Von Träumen und Zielen

„Ziele sind Träume mit Termin“ – hab ich unlängst gelesen. Das kommt der Sache ziemlich nahe. Aber was tun, wenn du deinen Traum … verloren hast?

Manfred war über 20 Jahre lang hervorragend unterwegs – so könnte man sagen. Nach seinem Studium der Betriebspädagogik hatte er sich rasch und scheinbar zielsicher in der Berufswelt zurechtgefunden.

Dass er dabei auf die tatkräftige Unterstützung einiger Pfadfinder-Kollegen bauen konnte war dabei sicher nicht hinderlich. Damals – noch während des Studiums – fand er so zu seiner tollen und preiswerten Studentenbude. Und zu einem gut bezahlten Nebenjob. Später dann profitierte er hie und da von einem Hinweis oder Angebot. Und dann von der tatkräftigen Unterstützung beim Hausbau. Auch er tat was er konnte um sich durch die eine oder andere Gefälligkeit zu revanchieren.

Dass seine Partnerin Anna ihn auch nach Kräften unterstützte … um nicht zu sagen verwöhnte, kam ihm ebenfalls zu gute. Die treue Seele kümmerte sich um Haushalt und Kinder, Verwandtschaft und Nachbarschaft. Und darum, dass bei den bald schon zur Institution gewordenen Gartenfesten alles wohl organisiert war. Sie schien damit glücklich. Er dankte es ihr mit seinem vollen Vertrauen. Gemeinsames Konto, sämtliche Ausgaben gingen durch ihre Hände. Alles lief perfekt. Bis …

Alles lief perfekt

Ja, alles lief perfekt, bis er eines Tages völlig unvermutet vom Vorstand seines Unternehmens zum Gespräch geladen wurde. Eine größere Umstrukturierung mache es notwendig, sich von ihm zu trennen, obwohl man mit seiner Leistung stets bestens zufrieden gewesen sei.

Da stand er nun. 42 Jahre alt. Seit 17 Jahren Führungskraft eines etablierten Einzelhandelsunternehmens. Mit einem Sack voller Berufserfahrung – in einem Betrieb, in dem es genau besehen schon längere Zeit nicht mehr wirklich rosig gelaufen war, das hatte er allzu lange nicht wahrhaben wollen. Mit einem in letzter Zeit etwas auf Sparflamme gekochten Netzwerk. Naja. Die Kinder in der Pubertät, berufliche Herausforderungen, die eine oder andere Trennung bei seinen Jugendfreunden.

Seiner Frau erzählte er anfangs nichts davon. Auch nicht den Kindern. Was soll man schon groß sagen, wenn eine 16jährige und ein 14jähriger vor einem stehen – so ganz voller Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Zukunft.

Als die vereinbarte sehr tolerante Kündigungsfrist sich langsam dem Ende zuneigte und aus all den von verschiedener Seite ausgesprochenen Unterstützungsangeboten nichts geworden war, blieb ihm nichts anderes übrig, als Farbe zu bekennen: „Ich habe ein Problem“ – wollte er eines Abends seiner Partnerin mitteilen. Sie kam ihm zuvor.

Ich habe ein Problem

„Ich habe ein Problem“ – meinte sie. Die Kinder seien nun schon in einem Alter, in dem sie das häusliche Umfeld nicht mehr wirklich bräuchten. Und schätzten. Und sie habe sowieso schon lange den Eindruck, dass sie irgendwie auf der Stelle trete.

Kurzum – sie habe sich entschieden, eine Ausbildung zur Psychotherapeutin zu beginnen. Sie könne so doch noch etwas aus ihrem Psychologie-Studium machen. Und aus ihrer langjährigen Erfahrung als Mutter, Hausfrau, Eventmanagerin, Pflegefachkraft, Finanzchefin, … Ach ja: Sie habe sich auch schon angemeldet zu dieser Ausbildung, die ihr schon länger durch den Kopf ginge.

Wieso sie bisher nichts davon gesagt habe?

„Naja. Du warst in letzter Zeit ja kaum ansprechbar. Immer drehte sich alles nur um dein Geschäft. Weißt du: Ich wollte einfach auch mal etwas für mich machen!“

Blöder Zeitpunkt, meinte er trocken. Und legte auf den Tisch, was allzu lange nicht zur Sprache gekommen war: Die Wahrheit über seine bevorstehende Arbeitslosigkeit.

***

Zwei Jahre später sieht die Welt für Manfred und Anna völlig anders aus. Sie steckt mitten in ihrer Therapieausbildung. Die anfallenden Kosten drücken gewaltig auf das Familienbudget, aber irgendwie geht es. Er kennt inzwischen die Personalberater-Szene seiner Region in- und auswendig. Absagen am laufenden Band. Vorstellungsgespräche nicht mehr so häufig. Das Übliche halt.

Seine spärlichen Brötchen verdient er mit Schulungen, die er im Auftrag seines ehemaligen Arbeitgebers dann und wann durchführen darf. So hatte er sich sein Leben wirklich nicht vorgestellt.

An einem sonnigen Frühlingswochenende kommt es zum Eklat – er kann einfach nicht mehr. Anna ist voller Optimismus von einem mehrtägigen Seminar nach Hause gekommen. Er stammelt etwas für sie recht Unverständliches über eine neue Geschäftsidee, dass er sich nicht mehr auf sie verlassen könne und einfach mehr Zeit für sich brauche … dann ist er fort.

***

Die Geschichte von Manfred und Anna ist natürlich frei erfunden. Zum Teil zumindest. Doch solche oder ähnliche Dramen spielen sich in vielen wohl situierten Familien ab.

Manche schaffen es noch rechtzeitig vor dem endgültigen Eklat, sich Zeit zu nehmen und Hilfe zu holen. Ihren wirklichen (Lebens-)Träumen miteinander auf den Grund zu gehen und sich selbst neu zu (er)finden.

Andere wenden sich ab – schockiert und enttäuscht vom scheinbaren Scheitern – und suchen ihr Heil in einem Neubeginn: Ganz von vorne anfangen – mit einem neuen Beruf, einer neuen Partnerschaft. Alles einfach nochmals zurückspulen.

Das ist DIE Chance!

Wer nimmt sich schon wirklich die Zeit für eine ernsthafte Lebensinventur. Eh nur, wer sich den Kopf so gründlich angeschlagen hat, dass er / sie sich kaum mehr auf den Beinen halten kann, oder?

Wenn’s also nicht schon eher sein konnte, dann wenigstens jetzt!

An dieser Stelle ein paar zu klärende Fragestellungen, wenn’s mit der Karriere so gar nicht klappen will und die Ampel in einem unserer Lebensbereiche grad von Gelb auf Rot umschaltet – spätestens dann ist es nämlich allerhöchste Zeit, einmal genauer hinzuschauen:

Es knirscht im persönlichen Bereich

  • Was genau treibt mich? Im Grunde schon mein ganzes Leben lang? Was begeistert mich? – Und was kostet mich meinen letzten Nerv?
  • Was kann ich gut? Wofür wurde ich immer schon geschätzt? – Und wo komme ich alleine so gar nicht zurecht?
  • Was mag ich wirklich? Was rührt mich zutiefst? – Und was schnürt mir die Kehle zu?

Engagement, Fähigkeiten und Herzblut sind ein stabiles Fundament. Darauf können wir aufbauen.

Es knirscht im privaten Umfeld

  • Was genau hat mich genau an dieser Partnerin / an diesem Partner begeistert? Wofür schätze ich ihn / sie? – Und was sind Aspekte, die zu akzeptieren mir schwer fallen?
  • Was haben wir miteinander schon alles auf die Beine gebracht? Was ist uns gut gelungen? – Und worin hatten wir bisher kein geschicktes Händchen?
  • Woran erkennen die Menschen in meinem privaten Umfeld meine Zuneigung, meinen Respekt, meine Liebe? – Und worauf könnte ich in Zukunft vielleicht besser verzichten?

Die Menschen in unseren Familien und im privaten Umfeld sind unser erster Kontakt in die Außenwelt. Wie sollten wir beruflich erfolgreich sein, wenn unsere privaten Beziehungen verkümmern? Niemand ist eine Insel.

Es knirscht am Arbeitsplatz

  • Wofür sind wir in erster Linie verantwortlich? Was ist unsere Aufgabe, die wir (selbstverständlich) ordentlich abliefern? – Und welche Aufgaben wollen uns in unserer derzeitigen Funktion so gar nicht gelingen?
  • Welche Fähigkeiten können wir in der derzeitigen Funktion gut einsetzen und damit auch für unsere Unternehmen / Organisationen einen echten Mehrwert erzeugen? – Und was liegt noch brach? Weil wir es nicht können – oder wollen?
  • Was begeistert uns an unserem jetzigen Verantwortungsbereich? Was tun wir mit Leidenschaft? – Und wo hat längst „Schema F“ Einzug gehalten?

Wer seinen Job nur (noch) aus Gewohnheit oder Bequemlichkeit erfüllt, ist heute in vielen Bereichen bereits angezählt. Und selbst wo wir uns in unkündbaren Stellungen bewegen, haben wir damit auf jeden Fall verloren: Lebenskraft, Lebensfreude, Lebensmut.

Es knirscht in der Gesellschaft

  • Wofür tun wir uns das alles letztlich an? Welchen Zweck erfüllen wir mit unserem (beruflichen) Engagement in der Gesellschaft, in der wir leben? – Und womit sollten wir schleunigst aufhören? Weil wir uns allen mehr schaden als nutzen?
  • Wie können wir unsere Fähigkeiten, Dienstleistungen, Produkte platzieren, damit unsere Gesellschaft einen größtmöglichen Nutzen davonträgt? – Und womit erbringen wir irrelevante, nutzlose oder gar schädliche Leistungen?
  • Wie stellen wir uns – derzeit – die „ideale Gesellschaft“ vor? Wofür lohnt es sich, sich einzusetzen? Mit der ganzen Kraft und Expertise, die wir uns bereits erarbeitet haben?

Ja, wir müssen ein bisschen träumen. Eine nüchterne Welt ohne Begeisterung und Träume ist fad und leer – und bietet mit Sicherheit keinerlei Anlass für große Erfolge.

Träume stecken in jedem und jeder von uns – wir müssen ihnen nur ein bisschen Aufmerksamkeit widmen, dann entwickeln sie sich (fast) von alleine.

Der Rest?

Der Rest ist eine relativ banale Angelegenheit, die mit ein wenig Training, Zeit- und Ressourcenmanagement bewältigbar sein sollte. Oder? 😉

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